Horizonte


Eine Gemeinschaftsausstellung zeigt Landschaftsmalerei unter dem Begriff „Horizonte“ auf ganz unterschiedliche Weise. Die Erfahrung der Natur spielt seit den frühesten Bildwerken eine große Rolle für die Künstler und es ist immer wieder überraschend zu sehen, wie viele unterschiedliche künstlerische Ansätze hier gewählt werden.
Die beiden im Bergischen beheimateten Künstler Friedhelm Förder und Viola Kramer zeigten dies in der Ausstellung vom 4.9. bis 28.10.2005 in der Bergisch-Gladbacher VHS mit beeindruckender Intensität.


Der Horizont (griechisch – der Gesichtskreis) ist die Grenzlinie zwischen der sichtbaren Erde und dem Himmel. Im mathematischen Sinn ist es die Schnittlinie der Himmelskugel mit einer Ebene, die im Beobachtungsort senkrecht zur Lotrichtung steht. Der Begriff stammt vom Ursprung aus der antiken Astronomie.
Schon früh wurde mit ihm allerdings nicht nur die Trennung von Himmel und Erde im geographischen Sinne bedeutet, sondern auch die philosophische Sichtweise als Wahrnehmungsgrenzen des Menschen ist früh angelegt.
Thomas von Aquin schreibt:
„Unter allem, was ist, hat allein der Mensch die Mitte zwischen dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen inne; deswegen wird er von den Philosophen zu Recht mit dem Horizont verglichen, der die Mitte der zwei Hemisphären ist.“
Die Ikonographie des Horizontes ist untrennbar mit der Landschaftsdarstellung durch die Zeiten verbunden. Von den Weltkarten des Mittelalters über die frühneuzeitliche Zentralperspektive zu den beseelten Räumen der Romantik – der Horizont unterteilt die Landschaft zu einem optisch erfahrbaren Raum. Dabei setzt er den Betrachter in Relation zu diesem, in dem er als Grenze des Wahrnehmungsfeldes eine optische Beziehung zur Ferne schafft.
Mit diesen beiden Ansätzen sei schon eingeführt in die Komplexität des Begriffes, der als Titel dieser Ausstellung gewählt wurde. Formal gesehen ist er also eigentlich nur eine waagerechte Linie im Bild – die jedoch ergänzt werden kann und soll in die unterschiedlichsten Bedeutungsebenen.
Das von den Künstlern gewählte Zitat „Gestern wird sein, was morgen gewesen ist“ gibt die Marschrichtung vor.
In der heutigen Ausstellung treffen sich zwei Kunstschaffende, die mit ganz unterschiedlichen künstlerischen Medien dieses Spannungsfeld des Horizonts abdecken. In der Gegenüberstellung eines der ältesten Verfahren der Menschheit, ihre Bildvorstellungen festzuhalten und dem künstlerischen Medium, das erst seit gut zwanzig Jahren überhaupt als Kunst anerkannt wird, bietet sich ein ästhetisch äußerst reizvolles Miteinander. Auch dies ist eine Sichtweise des Horizonts: Orientierungen und Schnittstellen im weiten Feld künstlerischer Ausdrucksmöglichkeiten.
Die Künstlerin Viola Kramer arbeitet mit der Natur. Dies einmal im wahrsten Sinne des Wortes – indem sie nämlich mit den Materialien aus der Natur ihre Installationen und Objekte bestückt. Zum anderen aber auch im übertragenen Sinne: sie setzt sich mit der Wahrnehmung der Natur auseinander – auch formal.
Bei ihren ausgedehnten Spaziergängen durch das Bergische Land fotografierte sie immer wieder die Landschaft mit ihren typischen Horizontlinien – sommers wie winters, morgens wie abends. Die Ergebnisse der dokumentarischen Tätigkeit verflichtt sie nun in einer Dopplung mit umgekehrter Perspektive zu einer Linie, die der Natur unvermittelt ein neues Leben, eine neue Sichtweise entlockt. Das oft Gesehene wird nun durch diesen formal-ästhetischen Eingriff fremd und tritt somit stärker in das Bewusstsein des Betrachters. Geheimnisse der Natur, die mit bloßem Auge nicht sichtbar sind, können durch dieses Verfahren assoziativ hervorgerufen werden und der Betrachter dieser „Horizonte“ tritt in eine andere Wahrnehmungsebene ein. Viola Kramer experimentiert – sei es mit den Materialien aus der Natur oder mit den technischen Möglichkeiten von Fotografie und Video. Das Konzept des Beobachtens und Dokumentierens bleibt bei ihr nicht auf der rein rationalen Ebene sondern ist getragen von einer eher romantischen Vorstellung von den Dingen hinter der äußeren Erscheinung.
Diese gegenwärtige Beschäftigung mit dem Bergischen Land trifft nun auf eine literarische Dimension, die zwischen Heimatgeschichte und visionären Bilderfindungen oszilliert.
Friedrich Förder setzt sich mit den Sagen und Legenden seiner Heimat auseinander und durchforstet die überlieferten Texte nach überzeitlichen Aussagen. „Zerstören“ und „Leiden“, „Helfen“ und „Heilen“ – der Bildtitel seiner beeindruckend großformatigen Holzschnittzyklen liefert die zentralen Begriffe, aus denen er die Zusammenhänge seiner Bilderwelt entwickelt.
Auszug der Zwerge
In alter Zeit stand bei Wiesdorf am Rhein ein dichtes Gehölz; das hieß, solange es stand, die Wüstenei. Dort hauste seit Menschengedenken der König der Elfen; er regierte von hier aus das Zwergenvolk, das in unterirdischen Höhlen lebte. Manch einem brachten die Leutchen Segen und Wohlstand ins Haus. Die Menschen aber waren undankbar, sie verärgerten sie und treiben sie eines Tages so aus dem Land…
Der Anfang einer in der „Bergischen Truhe“ von Paul Weitershagen gesammelten Sage gibt den Tenor vieler ähnlicher Begebenheiten vor.
Alte Mythen dienen den Menschen als Vorbilder und Metaphern für das Dasein schlechthin. Diese Funktion der literarischen Überlieferungen übersetzt Friedrich Förder in die faszinierende Technik des Holzschnitts, den er häufig auch mit der Technik des Holzschlagens verfeinert. Dabei ist ihm vor allem die Beibehaltung der gewachsenen Struktur des Holzes wichtig, die einen ornamentalen Teppich für die Bilder liefert aber auch auf die Wahrnehmung des Materials aus der Natur verweist.
Ausgehend von dem Bemühen, bildliche Umsetzungen zu den Erzählungen zu finden, geht der Künstler jedoch über den reinen Ansatz der Illustration hinaus. Er sammelt Motive archäologischer Funde ebenso wie die Formensprache moderner Kunst bis hin zur Abstraktion und schafft somit eine ganz eigene Ästhetik, die durch den Einsatz satter leuchtender Farbigkeit oder dramatischer Druckerschwärze noch eine besondere Steigerung erfährt.
Die Themen von Sagen und Legenden seiner Heimat verdichtet der Künstler zu Sichtweisen auch der modernen Welt. Er spürt in ihnen die Parallelen auf zur heutigen Industriegesellschaft zwischen Arbeitslosigkeit und Missachtung der Natur. Dabei sind die Werte früherer Zeiten auch heute noch gültig und Förder gibt mit seinen Bildern eine Art Heilung mit auf den Weg – und sei es nur in der Möglichkeit der Entwicklung. Anhand des mit ausgestellten Skizzenbuches lässt sich die Findung der einzelnen Bildideen als langer Prozess nachvollziehen. Mit den formalen Mitteln der Reihung und Wiederholung bestimmter Motive verbindet Friedrich Förder die Gratwanderung zwischen Gegenständlichkeit und Abstraktion zu einem hohen Grad an Eindringlichkeit.
Die Entwicklung aus dem traditionsreichen Handwerk der Buchdrucker zeigt sich bei Friedrich Förder deutlich in der Auseinandersetzung mit den graphischen Möglichkeiten des Holzschnitts. Immer wieder erfindet er neue Papierobjekte, die durch Perfektion der Technik einerseits aber auch Erfindungen phantasiesprühender Motive anderseits bestechen. Dabei spielt die vor allem die durchdachte Konzeption von Wort und Bild eine herausragende Rolle.
Mit der Gemeinschaftsausstellung von Viola Kramer und Friedrich Förder eröffnet sich Ihnen, meine Damen und Herren, ein neuer Horizont – die gegenseitige Befruchtung unterschiedlicher künstlerischer Medien, die Anmerkungen zum Gestern und Heute des Bergischen Landes und die Begegnung mit den eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten.

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