Noch bis zum 18. November kann ich den geneigten Leser zu wahrhaft königlichen Begegnungen nach Troisdorf einladen. Unter dem Titel „Wir Könige“ versammeln sich hier in St. Hippolytus wunderbare Skulpturen des Künstlers Götz Sambale zu einer besonderen Ausstellung. Der Ausstellungstitel und das Eintreffen der Figuren an diesem Ort impliziert einen wichtigen Aspekt der Kunstbetrachtung, den diese Präsentation anregen möchte: der Betrachter ist aufgefordert, sich auch auf die Suche nach dem König in sich selbst zu machen. Doch dazu später mehr.
(c) Götz Sambale
Lassen Sie mich Ihnen zunächst die Arbeiten Götz Sambales näher vorstellen. Bei „Könige“ handelt sich um eine Bildnis-Reihe, die im Jahre 2003 begonnen wurde und die mittlerweile zu einem äußerst erfolgreichen Ausstellungsprojekt geworden ist. Seit vielen Jahren zeigt der Künstler die „Könige“ in Zusammenarbeit mit dem Erzbistum Köln in unterschiedlichen Kirchenräumen. Und es wird jedes Mal zu einem spannenden Erlebnis, wenn die Figuren in den Raum einziehen.
(c) Götz Sambale
Für Götz Sambale spielt der Ort eine herausragende Bedeutung und so liefert er seine Figuren nicht einfach für eine Ausstellung an. Erst verschafft er sich einen genauen Eindruck von den Räumlichkeiten, bevor er diejenigen Könige aus seiner Werkgruppe auswählt, die an diesen spezifischen Ort reisen dürfen. Jeder erhält dann einen für ihn ausgesuchten Platz und entfaltet dort seine ganz eigene Wirkung.
Die Gruppe der Könige hat über die Jahre immer neue Mitglieder erhalten. Anfänglich begegneten dem Betrachter die kleinen Bronze-Skulpturen auf einfachen Eichenholz-Stelen. Unterschiedlich hoch, damit man ihnen in verschiedenen Perspektiven gegenüber treten konnte. Im Laufe der Zeit jedoch gewann ihr Sockel immer mehr an Bedeutung und so inszeniert Sambale die „Könige“ mittlerweile im jeweiligen Raum als umfassendes Environment. Er greift die Situationen vor Ort auf und verbindet sie mit einer besonderen Lichtinstallation zu einem Gesamtbild. Diese Art der Präsentation hat die besondere Kraft, beim Betrachter zahlreiche Assoziationen anzustoßen.
Was den Sockel angeht, so erhält dieser eine besondere Stellung. Er ist nicht einfach nur ein Hilfsmittel zur Präsentation. Er ist vielmehr ein spezieller Aktionsradius für die Könige. In manchen Arbeiten scheint er aber auch künstlerischen Eigenwert zu erhalten. Auf diese Weise wird die Beziehung zwischen der Form und der Figur zu einem weiteren spannenden Aspekt der „Könige“. Hier wird auch deutlich, wie sehr Götz Sambale als Holzbildhauer Wert auf die Wirkung des Materials legt. Ob über die Maserung des reinen Holzes oder über eine Betonung durch eine geschwärzte Patina – das Naturhafte, Ursprüngliche und Warme dieses Werkstoffes wird vom Künstler sensibel herausgearbeitet. Auch bei den aus weichem Lindenholz behutsam herausgearbeiteten Formen für die „Könige“ zeigt sich die besondere Ästhetik des bildhauerischen Gestaltens.
Götz Sambale, der heute in Köln lebt und arbeitet, machte zunächst eine Ausbildung zum Tischler. Hier erlernt er die handwerklichen Grundlagen für die Arbeit mit seinem bevorzugten Werkstoff. Seine künstlerische Laufbahn beginnt mit dem Studium an der Alanus Hochschule in Alfter. An dieser Kunsthochschule setzt man auf das Ideal einer ganzheitlichen Ausbildung. Sozusagen als Bildung zum Menschen. Ganz besonders wird hier der Einfluss der Kunst auf die Gesellschaft betont. Im Studiengang Bildhauerei hebt man darüber hinaus die außerordentliche Bedeutung des Materials hervor, über welches einem die künstlerische Inspiration vermittelt werden soll. Das fängt schon bei der Beschaffung an – Holz aus dem Wald holen, Steine aus dem Steinbruch schleppen. So entsteht eine direkte Verbindung auch zum Eigenwert des Materials. Schauen Sie sich die Arbeiten genau an und Sie können es bei jeder einzelnen Arbeit deutlich spüren.
Ich begleite die Ausstellungen der „Könige“ nun seit fast zehn Jahren und ich habe es noch nie erlebt, dass sich jemand der Ausstrahlung dieser Kunstwerke verweigert hat. Stets verlassen die Besucher die Könige mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Oft sind sie angeregt ins Gespräch vertieft. Was ist es, was diese Kunst so direkt in die Herzen der Betrachter strahlen lässt?
Die im Sandgussverfahren hergestellten Bronzeskulpturen sind kleine Vertreter eines bestimmten Menschenbildes. Ihre Darstellung schwingt zwischen Kindlichem und Königlichem hin und her. Beide Möglichkeiten sind durch vorsichtige Hinweise angedeutet. Bei einer Figur entdeckt man die etwas zu großen Füße eines Heranwachsenden. Die nächste trägt ein überzeitliches vielleicht auch biblisches Gewand. Vor allem aber senden die Könige über ihre Körperhaltungen und Gesten eindeutige Signale. Die meisten von ihnen sind mit einer aus der Bronze herauspolierten goldenen Krone gekennzeichnet. Doch eigentlich bräuchten sie die Krone nicht, um ihr Königtum zu demonstrieren. „Die Gestalt in Form eines kindlichen Königs drückt für mich den inneren Wesenskern eines jeden Menschen aus“, sagt Sambale und macht damit deutlich, dass es ihm in seiner Arbeit um die Veranschaulichung einer bestimmten Idee geht.
Eine Idee, die – verfolgt man die einzelnen Aspekte – tief in der Geistesgeschichte verwurzelt ist. Man erinnere sich zum Beispiel an Rudolf Steiners Ansicht, dass aus der Art und Weise, wie ein Kind spielt, die spätere Lebensaufgabe des erwachsenen Menschen erkennbar ist. Götz Sambale, beobachtet vor allem in den kindlichen selbstvergessenen Haltungen und Gesten eine reine und unschuldige Art, die er auf seine Könige überträgt. Er formt in ihnen ein allgemeingültiges Bild, lässt aber auch genügend Raum für zahlreiche individuelle Geschichten und Assoziationen.
In einem Text von Eugen Drewermann geht es um das Drama der gestohlenen Kindheit:
„Ich glaube, die meisten Menschen hat man daran gehindert, wirklich Kinder zu sein… Worum es bei der seelischen Durcharbeitung geht, ist im Grunde immer wieder die gestohlene Kindheit. Man hat uns förmlich in die Welt gejagt, und man musste viel zu schnell erwachsen sein. Man musste etwas können, wissen, sich richtig verhalten und einordnen. Das konnte alles gar nicht schnell genug gehen … Im Grund aber geht es darum, noch einmal den Traum zu entdecken, den man als Kind geträumt hat.“
Mancher der kleinen „Könige“ scheint dieses Träumerische im Ausdruck zu haben. Sie alle faszinieren auch auf eine poetische Weise. Ein Gedicht von Max Frisch greift diesen Aspekt wunderbar auf:
Wir könnten Menschen sein.
Einst waren wir schon Kinder.
Wir sahen Schmetterlinge.
Wir standen unterm silbernen Wasserfall.
Wir sahen alles.
Wir hielten die Muscheln ans Ohr.
Wir hörten das Meer.
Wir hatten Zeit.
Für Götz Sambale tritt die Kunst also im Sinne einer Vermittlerin einer bestimmten Idee auf. Er verbindet sie in diesem Falle mit der äußeren Erscheinung einer Skulptur. Wenn man das, was dort im Kern vorhanden ist, konkreter benennen sollte, dann würde man sagen: es ist die Seele. Und damit ist die Vorstellung eines spezifischen Menschenbildes gemeint – genauer: eines bestimmten Menschwerdens.
Die Skulpturen gehen über die Repräsentation der physischen Erscheinung hinaus. Wenn man sie genauer betrachtet, so merkt man: Sie verdeutlichen geistige Vorgänge. Sie sind Formen einer spezifischen Identität und spiegeln das in der Begegnung mit dem Betrachter. Dabei sind Sambales Figuren weit entfernt von jeglicher Illustration. Der Verzicht auf porträthafte Züge lässt die „Könige“ vielmehr zu allgemein gültigen Zeichen werden, die auf strukturelle Gesetzmäßigkeiten des Menschenbildes zurückführen. So lassen sich beispielsweise „Trauer“, „Freude“, „Naivität“ im Sinne von „Unverdorbenheit“ aber auch „Mut“ und „Macht“ in den königlichen Haltungen erkennen. Es sind vielfältige Facetten menschlicher Befindlichkeiten, die der Künstler beobachtet und in seinen „Königen“ umgesetzt hat.
(c) Götz Sambale
Eine besondere Wendung nimmt die Kunst Sambales in seinen Booten, die zu meinen Lieblingsarbeiten gehören. Und hier greife ich dieses eine Boot heraus, welches auf einer seltsam unbeholfen wirkenden Unterkonstruktion festgeschnallt ist. Spontan muss ich hier immer an Arbeiten von Joseph Beuys denken. Zum Beispiel an seine Schlittenkonstruktion. Wir kommen hier auch in den Bereich archaischer Mythen, tangieren die Vorstellung vom Boot, welches über den Styx fährt, erinnern uns an die Bilder entbehrungsreicher Flüchtlingsströme. Gemeinsam mit dem zweiten hier ausgestellten Boot entsteht aber auch die Metapher von allen Menschen, die in einem Boot sitzen. Dies sind nur einige Beispiele von Gedankenströmen, die die Kunst Götz Sambales auslösen kann.
Hierin entdecke ich unverkennbar der Einfluss von Joseph Beuys, dessen Idee zur sozialen Plastik den Kunstbegriffes in den 60er Jahren vollkommen neu definierte.
Kunst entsteht im Kopf des Betrachters. Auch so ein Ansatz, der gerne mit Joseph Beuys in Verbindung gebracht wird. Und ich denke, ich spreche im Sinne von Götz Sambale, wenn ich behaupte, dass die Kunst seiner Könige in dem Moment ihre wahre Bedeutung entfaltet, wenn die Gedanken und Gefühle der Betrachter hinzukommen. In diesem Sinne: Fühlen Sie sich aufgefordert, in der Begegnung mit den Königen ihre eigenen Geschichten und vielleicht auch den König in sich selbst zu entdecken.
(c) Götz Sambale
Kommentar verfassen