Wie magisch angezogen begegnet der Betrachter den Werken von René Magritte. Die Bilder, die aus einer anderen Welt zu stammen scheinen, strömen eine geheimnisvolle Aura aus und faszinieren mit ihrer Feinmalerei. Allzu oft sieht man jedoch nur die „Oberfläche“ der magrittschen Kunst, hängt sich seine Bilder als Poster zu dekorativen Zwecken auf und geht der Faszination nicht näher nach.
Was steckt hinter den Bildern? Wie funktionieren sie und auf was nehmen sie Bezug? Wenn man diesen Fragen nachgeht, begibt man sich in eine eigene Welt mit einer eigenen Sprache und begegnet möglicherweise dem eigenen Unterbewusstsein!!
Das Reich der Lichter, 1954
Dies ist wohl sein berühmtestes Gemälde. Es verdankt seinen Titel dem Dichter Paul Nougé.
Ein nächtlicher Ort unter einem taghellen Himmel. Erst auf den zweiten Blick wird dem Betrachter die Surrealität dieser so lebensnah gemalten Szenerie bewusst. „Im Reich der Lichter habe ich verschiedene Vorstellungen wiedergegeben, nämlich eine nächtliche Landschaft und einen Himmel, wie wir ihn am Tage sehen. Die Landschaft lässt an Nacht und der Himmel an Tag denken. Ich finde diese Gleichzeitigkeit von Tag und Nacht hat die Kraft zu überraschen und zu bezaubern. Ich nenne diese Kraft Poesie.“ R.M.
Der bedrohte Mörder, 1926, Museum of Modern Art, N.Y.
Magritte war ein Fan von den Geschichten des berühmten „Fantomas“, der sich in immer wieder neuen Masken versteckte. 1925 machte Magritte die Bekanntschaft mit dem Gemälde „Das Lied der Liebe“ von Giorgio de Chirico. „Das war einer der bewegendsten Momente in meinem Leben: zum ersten Mal haben meine Augen den Gedanken gesehen.“
Der Mann mit dem Bowler ist inspiriert durch ein Gemälde Max Ernst aus der Tate Gallery „Pietà oder Revolution bei Nacht“, 1923. Hier wiederum hat Ernst ein Werk de Chricos verarbeitet, in welchem dieser seinen Vater porträtierte: Das Gehirn des Kindes, 1914
Nichts ist wie es scheint!
r. magritte
Die Riesin, 1929/31
Baudelaires Gedicht – von dem es noch andere Fassungen gibt als diejenige, die Magritte als Anregung diente – beschreibt die wunderbaren und sinnlichen Kräfte der Poesie. Magritte sucht genau das in seinem Bild umzusetzen. Das Bild irritiert den Betrachter, denn die Größenverhältnisse folgen nicht den gewohnten Seherfahrungen. Beziehungslos stehen in einem bürgerlichen Raum eine nackte Frau und ein winziger Mann mit schwarzem Anzug gegenüber. Die literarische Entsprechung zur Bildgeschichte ist rechts im schwarzen Feld wiedergegeben.
Die Riesin. Zuzeiten, da eine schlechte, doch gnadenvolle Welt die eitlen Hoffnungen deiner Augen in ihren Farben wiegt, wächst inmitten meines Lebens eine Riesin auf in arrogante Maske deine Götter missachtend. Nur für mich vergehend ringt ihr großer Leib nach Atem, ermattend nur, um neu zu erstehen, in düsterer Flamme, die die schwebenden Nebel in ihren Augen zerreißt. Für immer ihrer Glieder Pracht durchschreitend, habe ich ihre mächtigen Knie erklommen. Bisweilen im Sommer, wenn unheilvolle Sonnen sie, die Müde, in meine Träume senken, schlafe ich ruhig im Schatten ihres Busens ein ohne einen anderen Traum als den, in den ihr Traum mich taucht.
Der Originaltext ist von Magritte wesentlich verändert worden.
Der Text folgt den sprachlichen Bildern nicht aber den Worten.
Paul Nougé hat Baudelaire-Plagiate gedichtet. Hinter solch einem Vorgehen steckt der Dada-Gedanke, der sich auch gegen die unantastbare Vorstellung des Originals gewandt hat !!!
René Magritte hat sich übrigens auch an Renoir-Plagiaten versucht.
Das Modell für die Riesin ist nicht – wie sonst – seine Frau Georgette, sondern Martha Nougé.
Charles Baudelaire: Die Riesin
Zur Zeit, da noch von Säften schwoll die Welt
Und täglich neue Urzeitkinder wiegte,
Hätt gern ich junger Riesin mich gesellt,
Wie Katze sich an eine Fürstin schmiegte.
Zu schaun, wie Leib mit ihrer Seele blühte,
Und wie sie frei erwuchs in grausigen Spielen;
Erraten, ob ihr Busen Flammen brüte,
Aus feuchten Nebeln, die ihr Aug umspielen,
Und gern durchzogen ihrer Glieder Pracht,
erklommen ihre Kniee steile Matten,
Und sommers, wenn vor giftiger Sonnen Acht
Die Flur die Müde sich zu legen lud,
Hätt ich geschlafen in der Brüste Schatten,
Wie Weiler sanft am Fuß des Berges ruht.
Die Domäne von Arnheim, 1938
Von dem amerikanischen Schriftsteller Edgar Alla Poe stammt die Erzählung „Die Domäne von Arnheim“, in der einige Passagen mit Beschreibungen von Landschaften und Gebirgen vorkommen. Poe, der besonders für seine Geschichte, die „das Unheimliche, Grauenvolle, Übersinnliche in beklemmender Spannung“ behandeln, bekannt ist, schreibt darin: „Es gibt in der Natur keine dekorative Zusammenstellung, die der geniale Maler nicht herstellen könnte.“
Der Verrat der Bilder, 1929, Los Angeles Museum of Art
„Die berühmte Pfeife…? Man hat sie mir zur Genüge vorgehalten! Und trotzdem… können Sie sie stopfen? Nein, nicht wahr, sie ist nur eine Darstellung. Hätte ich unter mein Bild geschrieben „Dies ist eine Pfeife“ geschrieben, hätte ich gelogen!“
Das Gemälde zeigt eine relativ realistisch gemalte Pfeife, unter der in alter Schulschrift steht: „Das ist keine Pfeife“. Und tatsächlich ist es keine Pfeife – eine Pfeife ist ein reales Objekt – sondern nur das Bild einer Pfeife, also Kunst. Gemälde und Realität sind zweierlei. Oder ist das dargestellte Objekt, das wir als Pfeife zu erkennen glauben, etwa gar keine Pfeife. Das Bild trägt auch den weniger bekannten Titel „L Trahision des Images, Der Verrat der Bilder.“
Es existieren verschiedene Ausführungen, die zwischen 1928 und 1966 entstanden.
„Die Malkunst – die wahrhaft Kunst der Ähnlichkeit genannt zu werden verdient – erlaubt es, im Malen ein Denken zu beschreiben, das sichtbar werden kann. Dieses Denken umfasst ausschließlich die Figuren, die die Welt uns bietet: Personen, Vorhänge, Waffen, feste Körper, Inschriften, Sterne usw. Die Ähnlichkeit vereinigt diese Figuren spontan in einer Ordnung, die unmittelbar das Geheimnis evoziert.“
La condition humaine, 1933
Vor einem Fenster mit Blick nach draußen platzierte ich eine Leinwand, auf der genau der Abschnitt dargestellt war, der von der Leinwand verdeckt wurde. So versteckte der Baum auf dem Gemälde den Baum draußen. Für den Betrachter war der Baum beides: im Raum auf dem Bild und draußen in der realen Landschaft. Die gleichzeitige Existenz in zwei unterschiedlichen Räumen ist wie wenn man gleichzeitig in der Vergangenheit und der Gegenwart leben würde – wie bei einem déja vu.
Magritte und die Folgen
Magritte gilt als Vorläufer und war eine wichtige Inspirationsquelle der Pop Art und der Konzeptuellen Kunst. Robert Rauschenberg, Jasper Johns, Roy Lichtenstein und Andy Warhol kauften Mitte der 50er Jahre Arbeiten von Magritte. Jasper Johns nimmt Motiv- und Wortideen Magrittes auf. Das Vermächtnis Magrittes, bei dem es weniger um das eigentliche Motiv oder das gemalte Objekt geht, als vielmehr um die Visualisierung einer Idee oder eines Konzeptes, die unabhängig von ihrer materiellen Ausführung existieren kann. Der Magritte-Effekt erkärt die ungeheure Faszination, die Magritte auf viele Betrachter auch heute noch ausübt. Der Betrachter stürzt in einen Abgrund.
Magritte liebte klassische Musik, las viel, von Philosophie über Detektivgeschichten bis zu Gruselstories, war ein passionierteer Kinogänger und lebte ansonsten eher zurückgezogen ein fast biederes Leben. Schon seine formalisierte Unterschrift gibt nichts von ihm preis. Auch sein äußeres Erscheinungsbild entsprach so gar nicht der Vorstellung eines Bohème. Hinter dieser Maske steckte jedoch mehr! Er hatte ein entschieden subversives Temperament. Er zwingt den Betrachter, seine vorgefertigten Ideen der Wirklichkeit zu überdenken, seine Denkgewohnheiten zu durchbrechen und auch ihre Verhaltensmuster zu analysieren. Er zwingt den Betrachter in eine neue und höhere Aufmerksamkeit gegenüber seiner Umgebung. Magritte kehrt die gewöhnliche Wahrnehmung um: die Dinge, die er malt, sind allesamt deutlich erkennbar, sie stammen aus der Sphäre des Banalen und Alltäglichen, aber sobald sie gemalt sind auf eine höchst akademische Art, eine Lektion wie im Sachkundeunterricht in der Grundschule, verändern sie sich, und alles gerät ins Wanken. Denn Magritte präsentiert die Dinge nach einer poetischen Logik, nach einer Ordnung, die sie in ein ganz neues Licht setzt und mit einer gänzlich neuen Kraft ausstattet. Mit der Welt der Erscheinungen geht er provozierend und verwirrend frei um.
Steckt etwa das Mysterium des Lebens dahinter??? Sollte sich ein religiöser Unterton bei Magritte eingeschlichen haben, der ihn abgrenzt gegenüber den üblichen Ironisierungen der Surrealisten/Dadaisten??
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