Sie sind monumental, bisweilen von einer naiven Volkskundlichkeit und zeigen oft spannende Abstraktionen – Bildwerke einer untergegangenen Ära. Im Lukas Verlag erschien jetzt ein Band mit Mosaiken, mit denen Bahnhöfe, Theater, Kinos, Stadien aber auch Bushaltestellen in den Republiken der ehemaligen Sowjetunion verschönt worden sind. Katja Koch und Aram Galstyan haben sich dafür auf eine Expedition gemacht und sind der Fährte dieser bunten Zeugnisse gefolgt. In diesem unglaublich gut gemachten Bildband mit sehr nachdenklichen Texten ist ihre Reise dokumentiert.
„Der Mörtel, der die Union zusammenhielt, war bekanntlich vergänglich. In den Mosaiken zeigen sich die Zwischenräume, Rissen gleich, die die spätere Trennung vorausnehmen.“ Diese metaphorische Sichtweise finde ich genial und sie zeigt, wie man diese Werke heute betrachten muss. Denn sie stehen für eine ganz besondere Haltung und verdienen unsere Aufmerksamkeit. Die beiden Autoren reisten durch Usbekistan, die Ukraine, Tadschikistan, Kirgisistan, Kasachstan, Turkmenistan, Armenien, Georgen, Aserbaidschan, Moldawien sowie durch Weißrussland. Sie dokumentierten die zum Teil vergessenen Mosaike und sprachen mit Zeitzeugen. So wurde aus dem Buch auch ein wertvoller Wissensspeicher.
Heute sind die oft monumentalen Fassadenmosaiken in den Nachfolgestaaten der UdSSR zu Schaufenstern einer vergangenen Welt geworden: Kosmonauten, Pioniere und Kolchosbauern illustrieren das Universum staatlich kontrollierten sowjetischen Lebens. Vor allem an den Rändern des früheren Riesenreiches zeigen sich aber auch kreativ verschlüsselte Zeichen des Widerstandes gegen den Moskauer Zentralismus. Leider sind die meisten der Kunstwerke von Vandalismus, Verfall oder Abriss bedroht. Umso mehr muss man die Arbeit von Katja Koch und Aram Galstyan würdigen, die dieses kulturhistorische Erbe vor dem Vergessen bewahren.
Das Buch zeigt auf 288 Seiten über 500 Abbildungen und ist zweisprachig erschienen. Allein schon die Unterteilung in die Kapitel „Arbeit“, „Bildung“, „Bushaltestellen“, Kultur, Freizeit und Erholung“, „Öffentlicher Raum und öffentliche Gebäude“ sowie „Wohnen“ macht deutlich, welches Spektrum diese künstlerischen Auseinandersetzungen abdeckten. Hoch anzurechnen ist es den Autoren, dass sie sich bei jedem Mosaik bemüht haben, Urheber und Entstehungsjahr zu ermitteln. Eine lückenlose Erfassung war schier unmöglich.
Beim Durchschauen der Bilder fällt auf, dass neben allem sozialistischen Realismus, dem die Künstler sich auch zu unterwerfen hatten, dennoch eine ganz eigene Bildsprache entstanden ist. So wurde den Autoren beispielsweise auch eine interessante Anekdote zum Mosaik am Labor der Staatlichen Universität Bischkek erzählt. Dort hatte der Künstler Satar Aitijews den „Pfad der Erleuchtung“ geschaffen. „Bei dessen Enthüllung, so erinnern sich Zeitzeugen, herrschte allgemeines Erstaunen darüber, wie dieses Werk die staatliche Kontrolle hatte passieren können, war seine Bildsprache doch vollkommen verschieden von dem, was als opportun galt.“
Und so habe ich beim Durchlesen des Buches nicht nur meiner Mosaikbegeisterung frönen können, sondern auch viel Wissenswertes erfahren aus den vielen kleinen Staaten der ehemaligen Sowjetunion, die jeder für sich so viel zu erzählen haben. Unbedingte Leseempfehlung!!
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