Für mich sind Erinnerungen ganz stark mit Gefühlen verbunden. Welche Stimmung hat mir eine Situation vermittelt, was habe ich auch körperlich wahrgenommen? War es warm, kalt, dunkel oder hell? Alles nimmt Einfluss auf das, was ich dann in meinem Gedächtnis abspeichere. Und oft über einen kleinen Sinnesreiz von außen wieder abrufen kann. Wie verhält es sich mit der Kunst? Lassen sich solche Erfahrungen auf unmittelbare Weise über Kunst transportieren?
Mit zwölf außergewöhnlichen Kunstdrucken tritt die deutsch-französische Künstlerin Barbara Thaden den Beweis an und zeigt mit „Ars Memoria“ Empfindungen der weiblichen Körperlichkeit.
Kostbares Handwerk
Das handgeschöpfte Papier, auf dem die samtige dunkle Farbe liegt, ist allein schon eine Sinnenfreude. Fast schon erotisch der Akt der „Entblätterung“ aus der feinen Stoffhülle. Insgesamt 35 Mappen hat Barbara Thaden mit jeweils 12 Blättern bestückt, die auf sehr traditionelle Weise in der kleinen Druckerei in Paris hergestellt wurden. Man schwelgt sofort in den liebevollen Details. Barbara Thaden spricht von einem „Geschenk“ für ein zukünftiges Begehren der individuellen «Ars Memoria ».
Die Kunst der Weiblichkeit
« Ars Memoria « ist der Höhepunkt von Thadens künstlerischem Schaffen. Die hier zusammengestellten Kunstdrucke sind ein klarer Ausdruck der bisherigen Erfahrungen – als Künstlerin und als Frau gleichermaßen. Ein Wegweiser durch ihre Bilderwelt, die geprägt ist von mystisch-lyrischen Atmosphären und geheimnisvollen Materialien. Dabei spielen sowohl biografische Versatzstücke eine Rolle wie auch Motive einer kollektiven Spiritualität. Für mich steckt in manchem etwas Freigeistiges und ich fühle mich an die Zeiten erinntert, in denen die Liebe gefeiert wurde. Die Motive bewegen sich zwischen bacchantischen Festen, rokokohafter Schwelgerei und Flower-Power. Wie selbstverständlich spielt Barbara Thaden mit assoziativ gegenübergestellten männlichen und weiblichen Geschlechtsteilen. Sie offenbart genießerisch verzückte Gesichter. Zwischendurch fingern zartfühlende Hände.
Die künstlerische Entwicklung von Barbara Thaden führt zu jenem Punkt, an dem sie sich intensiv mit dem weiblichen Körper auseinandersetzt. In ihren jüngsten Arbeiten baut die Künstlerin eine erotische Spannung über fragmentierte Körperformen auf. Durch Zeichnung und Aquarell befragt sie einzelne Körperregionen hinsichtlich ihrer Empfindsamkeit und setzt sie mit unterschiedlichen Perspektiven zu neuer Vertrautheit zusammen. Mit sicherem Strich entwickelt sie dadurch eine ungeheure erotische Kraft, die den Betrachter unweigerlich anzieht.
Dialog der Künste
Die Mappe „Ars Memoria“wird durch eine schöne Ergänzung zu einem ganz besonderen Erlebnis. Der Künstlerin ist es gelungen, mit dem Autor Dieter Wellershoff einen wunderbaren Dialog der Künste zu entfachen. Durch ein Gedicht Wellershoffs wird der sinnliche Aspekt der Bilder in literarische Gedankenwelten überführt. Bereits früher hat Wellershoff in seinen Werken intime Erfahrungsprozesse beschrieben, die nicht selten in existenzielle Krisen münden. Viele seiner Protagonisten sind auf der Suche nach Selbstverwirklichung – auch in sexueller Erfülltheit.
2008 veröffentlichte Wellershoff mit „Zwischenreich“ einen viel beachteten Gedichtband mit Lyrik vor allem aus den 70er Jahren. Diese habe er bislang „in ihrer Intimität als schutzbedürftig empfunden“, schreibt der Dichter im Vorwort dazu. Das für „Ars Memoria“ ausgewählte Gedicht präsentiert ein schwebendes zartes Gedankengespinst, welches zwischen Konkretem und Geheimnisvollem changiert.
„Kunst ist immer erotisch“ befand einst Picasso und so kann man „Ars Memoria“ auch als ein wahres Liebhaberstück genießen, welches durch die Feinheiten der Materialien, die Schönheit der Drucke und durch den literarischen Exkurs besticht. Eine Überarbeitung der Suite mit Aquarell hebt die sinnlichen Aspekte dieser Kunst noch stärker hervor und verfeinert den Genuss der Kunst.
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