An der Epochenschwelle

Über Weltausstellungen und andere Träume vom Glück

Auf Löschpapier gezeichnet und von einem Erbauer britischer Gewächshäuser geplant, wurde der Kristallpalast, in dem die erste Weltausstellung 1851 ihre Pforten öffnete, ein wahres Weltwunder aus Glas und Metall. Er war unglaubliche 563 Meter lang und 124 Meter breit. Wie ein künstlicher Himmel überwölbte sein Dach mehrere exotische Bäume und eine Kristallfontäne. In seiner lang gestreckten Mittelhalle stand der größte Spiegel der Welt. In jenem Glaspalast, der wie ein riesiger Koloss im Hyde Park lag, präsentierte man einen Jahrmarkt der Erfindungen und huldigte dem technischen Fortschritt. Auch die Dampfmaschine fehlte selbstverständlich nicht in diesem Panoptikum. Die erste Weltausstellung geriet zur Demonstration der Weltmacht Großbritanniens und wurde ein Magnet für den Massentourismus. Sie wurde zum Symbol einer neuen Zeit und präsentierte die Zukunft.

Prinzgemahl Albert hatte die Vision zu der Ausstellung. Sie sollte „ein treues Zeugniß und lebendiges Bild von demjenigen Standpunkte der Entwickelung, zu welchem die ganze Menschheit in diesem großen Werke gelangt ist“ geben. Die Weltausstellungen begleiteten ab dieser Geburtsstunde die Entwicklung der Gesellschaft in die Moderne. Sie waren Spiegel der Möglichkeiten ihrer jeweiligen Zeit und lieferten Beispiele dafür, wie man sich die Welt einzurichten gedachte. Selbstverständlich geriet die Weltausstellung in Paris zum Ende des Jahrhunderts zu einer Art Superschau. Das Ziel war – wie der französische Handelsminister ankündigte – „eine Zusammenfassung des 19. Jahrhunderts“. Sie sollte die „Philosophie“ des Jahrhunderts herausstellen. Zentrale Attraktion war der „Elektrizitätspalast“, der das Publikum zu Tausenden anzog. Das ganze Gelände der Weltausstellung glich einem Lichtermeer mit farbigen Lichtspielen. So stellte man sich die Zukunft vor: auch in der Nacht taghell und alles funktioniert automatisch.

Bezeichnenderweise spielten diese Visionen von einer zukünftigen Welt auch schon in den Science-Fiction-Romanen von Jules Verne eine Rolle. Seine Beschreibungen einer idealen Stadt mit ausgeklügeltem Beleuchtungssystem war 1895 im Roman Die Propellerinsel erschienen; und auch in der Ausstattung der legendären Nautilus, dem U-Boot des Kapitäns Nemo, überraschen technische Spielereien sogar 20 000 Meilen unter dem Meer. Die Opulenz mancher Ausstattungsbeispiele in Vernes Romanen fand sich auch in den aufwendigen Raumausstattungen des Art Nouveau und führte zu der Bezeichnung Style Jules Verne.

„(Der) Glaube an den ununterbrochenen, unaufhaltsamen ‚Fortschritt’ hatte für jenes Zeitalter wahrhaftig die Kraft einer Religion: man glaubte an diesen Fortschritt schon mehr als an die Bibel, und sein Evangelium schien unumstößlich bewiesen durch die täglich neuen Wunder der Wissenschaft und der Technik. […] Auf den Straßen flammten des Nachts statt der trüben Lichter elektrische Lampen, die Geschäfte trugen von den Hauptstraßen ihren verführerischen Glanz bis in die Vorstädte, schon konnte dank des Telephons der Mensch zum Menschen in die Ferne sprechen, schon flog er dahin im pferdelosen Wagen mit neuen Geschwindigkeiten, schon schwang er sich empor in die Lüfte im erfüllten Ikarustraum.“ (Stefan Zweig)

Wenn auf der einen Seite die zahlreichen Weltausstellungen ganz im Dienste der technischen Errungenschaften der Jahrhundertwende standen, so zeigte sich mit der so genannten „Lebensreform“ eine andere Vorstellung vom kommenden Zeitalter. Sie war durch einen ausgesprochenen Rückzug in Richtung Natur und Natürlichkeit gekennzeichnet. Der Mensch, sein Körper und seine Bedürfnisse standen im Mittelpunkt. Einer der Höhepunkte dieser Bewegung war die Deutsche Hygieneausstellung von 1911 in Dresden, zu der Franz von Stuck ein Plakat gestaltete. Das mystische Auge – seherisch inmitten eines Sternenmeeres dargestellt – machte das Sendungsbewusstsein der Reformer deutlich. Vor allem in Künstlerkreisen führten die neuen Themen zu Diskussionen um Konzepte für die Zukunft und zur Gründung von Künstlerkolonien abseits der Ballungszentren.

Ein Beispiel für die zahlreichen „Aussteiger“, die dem Umfeld der Lebensreform entstammten, ist die Gruppe, die sich im Jahr 1900 am Monte Verità unweit von Ascona ansiedelte. Unter der Führung des Fabrikantensohns Henri Oedenkoven und der Pianistin Ida Hofmann hatte sich eine idealistische Gemeinschaft gebildet, die dem Vegetarismus zugetan war und darüber hinaus eine ausgeprägte Abneigung gegen eine überwiegend militaristisch geprägte Gesellschaft hegte. Besonders die pazifistische Grundeinstellung der Reformer zog vor und nach dem Ersten Weltkrieg Künstler und Literaten wie Hans Arp oder Hermann Hesse an. Auch Isadora Duncan gehörte zu der Gruppe und entwickelte in diesem Umfeld ihren Ausdruckstanz. Die zentrale Idee der Gruppe war es, ein Sanatorium für Naturheilkunde zu gründen, um dort fortschrittliche Methoden wie zum Beispiel „Luftbäder“ austesten zu können, bei denen die Patienten sich nackt im Freien aufhalten sollten. Wenn man sich dann doch bekleidete, so geschah dies mit den in dieser Zeit aufkommenden „Reformkleidern“, die den Körper nicht einengten und einen gesunden Gegenentwurf zum Korsett darstellten.

Reformkleid, Stickerei, rotbrauner Samt, um 1910.
Bestand des Historischen Museums Frankfurt Nr. X.1963.007. Veröffentlicht in Dorothee Linnemann (Hrsg.): Damenwahl! 100 Jahre Frauenwahlrecht. Begleitbuch zur Ausstellung. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2018, Foto: Horst Ziegenfusz, Quelle Wikipedia

Nicht nur die Anhänger der Freikörperkultur diskutierten heftig die Notwendigkeit einer Mode, die sich den natürlichen Gegebenheiten des menschlichen Körpers besser anpassen könnte. Besonders die in dieser Zeit agierenden Frauenrechtlerinnen sahen in der Befreiung vom Korsett auch die Befreiung von einer gesellschaftlichen Einengung der Frau. Aber auch viele Künstler machten sich Gedanken um das Thema, und das „Reformkleid“ wurde zu einem Objekt der kunsthandwerklichen Gestaltung. Der Künstler Alfred Mohrbutter schrieb 1904 über das Kleid der Frau: „Und dann, hier in der Umgebung dieser neuen einfachen Möbel und Teppiche, sah man mit einem Male, welche Sinnlosigkeit sich auf den Kleidern unserer Frauen breitmachte (…) Wir erstaunten über uns selbst, dass wir solche Dinge jahrzehntelang ertragen konnten, nachdem wir nun endlich herausgefunden hatten, dass ein Frauenkleid auch sinngemäß, einheitlich wie ein Möbel, ein Teppich sein könne, sein müsse, dass es eine Idee, eine dekorative Idee zu verwirklichen habe. Und diese Entdeckung erhob mit einem Schlage das Kleid zum Kunstwerk.“

Henry van de Velde gilt als Vorreiter dieser Künstlerkleider. Der damalige Leiter des Krefelder Textilmuseums hatte ihn gebeten, ihm Entwürfe zu liefern. Der Künstler hatte schon in seinem Ausstattungsprogramm für sein Haus Bloemenwerf die Kleidung für seine Frau mit in den gestalterischen Gesamtzusammenhang einbezogen und diese Linie auch bei späteren Projekten weiterverfolgt – zum Beispiel bei der Villa Esche in Chemnitz. Seine Frauenkleider sind geprägt von der organischen Linienführung, die van de Velde ganz dem Schwung der weich fallenden Kleider angepasst hatte. Sie zeigen dieselbe Ornamentik wie Geschirr, Besteck und Polstermöbel.

Gustav Klimt war ebenfalls begeistert von der lockeren Reformkleidung, trug selbst oft einen langen Kaftan, und in manchen seiner Porträts sieht man die Damen in Reformkleidung, die zum Teil in der Wiener Werkstätte gefertigt wurde. Eine der häufigsten Auftraggeberinnen für diese modernen Kleider war Emilie Flöge, die mit ihren Schwestern ein Modegeschäft betrieb und Gustav Klimt für die neuen Mode-Ideen empfänglich gemacht haben dürfte. Es bleibt jedoch festzustellen, dass sich das Reformkleid lediglich in künstlerischen und intellektuellen Kreisen verbreiten konnte – der Rest der Gesellschaft wollte auf die vordergründige Betonung der weiblichen Formen nicht verzichten.

Die Stimmung um die Jahrhundertwende war ambivalent. Einerseits fürchtete man den Weltuntergang, war geprägt von einer düsteren Décadence als Reaktion auf den Überdruss des Althergebrachten. Auf der anderen Seite sahen viele Menschen einem neuen Zeitalter entgegen, welches besser, gesünder, glücklicher werden sollte. Ein Jubel erfasste die Gesellschaft der Jahrhundertwende, in den später sogar der Erste Weltkrieg einbezogen werden sollte, als Möglichkeit einer tabula rasa. Den Künstlern wurde die Gestaltung der neuen Welt übertragen, und voller Begeisterung nahmen viele diesen Auftrag an.

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