Traurige Songs

Kora Jünger, Hamburger Künstlerin mit eindeutig amerikanischem Einschlag, findet mit Bleistift und Papier zu Bildern, die den Zustand zwischenmenschlichen Agierens in der heutigen Zeit einzufrieren scheinen. Mit bedrückend traurigen Zeichen, die einen zum Lachen bringen und absurd-pointierten Bilduntertiteln blättert sie ein Agieren von Menschen auf, die allesamt entrückt oder betrunken oder sonst irgendwie irritierend abseits zu sein scheinen. Das Faszinierendste an diesen Zeichnungen, die unter dem Titel „World’s Saddest Songs“ im Rahmen einer Ausstellung im Leopold Hoesch Museum in Düren präsentiert wurden, ist jedoch der ungeheuer feine Strich und die Spannung zwischen Genauigkeit der Haltungen und Weglassen allen überflüssigen Details. Dadurch wirken die Bilder subtil direkt ins Auge des Betrachters.
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Mein Arbeitsfeld ist der emotionale Raum zwischen Betrachter und Bild. Emotionen werden als Transmitter und Spiegel gesellschaftlicher Zustände eingesetzt. Es gilt nicht, spezielle gesellschaftliche Ereignisse aufzuzeigen. Vielmehr soll der unbewusste Zustand einer gesellschaftlichen Gemütslage zum Ausdruck gebracht werden. Ich versuche bildnerische Modelle zu entwickeln, die höchstens in ihrem psychologischen Kalkül durchschaubar bleiben, ansonsten aber eine Offenheit als Widerstand postulieren. Mein Vokabular ist die Figur und die Landschaft und der Raum der sich in der Konstruktion aus diesen ergibt, erweiternd zum Raum des Betrachters.
Kora Jünger
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Die Personen, Figuren, Subjekte, Körper oder Wesen, die in den Zeichnungen auftreten, befinden sich in solcherart transgressiven Zusätnden. Ihre Transgression scheint aber ohne Perspektive. Ohne die Option auf einen utopisch verrückenden Moment, der sie von sich selbst befreien könnte oder sie über sich selbst hinauswachsen ließe. Ihre Überschreitungen verenden im Diesseits. Oder reißen sie sogar noch weiter rein in die traurige Gegenwart des eigenen Körpers. Die Vorstellung eines unabhängigen und souveränen modernen Individuums scheint hier, mit dem Kopf in der Kloschüssel oder käferartig auf dem Boden liegend und alle Viere von sich streckend, einer Enttäsuchung Platz gemacht zu haben: Unbestimmt zwischen Subjekt und Objekt gehen die gezeichneten Gestalten ins Formlose über. Es sind sich selbst verzehrende Wesen, die nicht um sich und ihre Selbstverzehrung wissen. Das ist das, was an ihnen das in sich selbst Gefangene, das Kreatürliche ausmacht.
Christine Lemke im Katalog zur Ausstellung im Leopold Hoesch Museum (bis 3. Juni)
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