Brutalismus in Köln


In Köln gibt es eine Menge herausragender Beispiele brutalistischer Archiektur. Nicht wenige sind in einem bedauernswerten Zustand. Einigen droht auch der Abriss. Gemeinsam mit Kollegen bin ich in einer Inititative aktiv, die sich zum Ziel gesetzt hat, die ästhetischen Qualitäten des Brutalismus im Rheinland ins Bewusstsein zu holen. Hier nehme ich euch gerne mit zu einem kleinen Rundgang zu interessanter Architektur.

Warum bin ich vom Brutalismus so begeistert? Es ist der Architekturstil, mit dem ich (Jahrgang 1961) aufgewachsen bin. Seine Materialästhetik und die klare Lesbarkeit der Konstruktion folgt einer speziellen Ethik des Bauens, die dem Alltäglichen einen Vorrang vor der Hochkultur einräumt. In vielen der Bauten spiegelt sich auch das urbane Umfeld. Brutalismus ist eine Haltung. Nicht von ungefähr sind vor allem Bildungseinrichtungen der Sechziger und Siebziger Jahre in diesem Stil entstanden.

betonstruktur

Beton

Der Begriff Brutalismus entstand im Zusammenhang mit der Verwendung von unverputzten Beton-Wänden. Der berühmte Beton brût (mit lautem T am Ende) gab den Impuls. In der zeitgenössischen Rezeption gab es nicht nur positive Reaktionen darauf („Schade, dass Beton nicht brennt!“) und so ist es nicht auszuschließen, dass heute auch so mancher diesen Baustil als brutal ansieht. Die Betonung monumentaler Formen begünstigt das. (Wer sagt eigentlich, dass kleinteilig und verschnörkelt schön ist?)

Was die Verwendung des Betons in der Architektur angeht, so kann man natürlich auch schon in der Zeit vor den Sechziger Jahren viele Bauten ausmachen. Als ich unlängst einen Vortrag des ehemaligen Stadtkonservators Ulrich Krings hörte, war ich ganz erstaunt, dass er z.B. das Goetheanum als Vergleich heranzog. Auch wenn sich hier in den Zwanziger Jahren anthroposophisches Gedankengut zur Architektur verfestigte, so ist es dennoch ganz spannend, sich eine Entwicklungslinie hinsichtlich der Oberfläche vorzustellen, die dann zum Brutalismus führt.

Das Bild oben stammt aus dem sogenannten Universitätsgarten, der die Universitätsbibliothek mit dem Hörsaalgebäude verbindet. Während letzteres eher in einer sehr ausdrucksstarken Weise mit abstrakten blockhaften Formen daherkommt, scheint der Architekt Rolf Gutbrod im Garten eher spielerisch an die Verwendung des Betons herangegangen zu sein.

hörsaalgebäude

Leider ist das Hörsaalgebäude ein Beweis für die sträfliche Vernachlässigung der brutalistischen Bauten. Ich glaube, das Netz hängt da schon mehrere Jahre. Im Moment harrt das Gutbrod-Ensemble noch der Aufnahme in die Denkmalliste (so zumindest mein Kenntnisstand). Die Einzigartigkeit dieser Archiektur aus den Jahren 1966 bis 1968 wird jedem deutlich, der ein bisschen hinter den Renovierungsstau zu blicken imstande ist.

Urbanität

Die Nachkriegsmoderne ist architektonisch auch geprägt von neuen Modellen des Zusammenlebens. Man dachte über die Organisation des täglichen Lebens nach und wollte Antworten auf die Bedürfnisse der Stadtbevölkerung entwickeln. Schon 1947 hatte Le Corbusier seine „Unité d‘ Habitation“ in Marseille erbaut. In Köln erleben wir einen strukturalistischen Bau wie das Unicenter, welches 1973 als eines der größten Wohnhäuser Europas bezugsfertig war. Auf einem -wie ich finde – extravaganten Y-förmigen Grundriss entwickeln sich über 900 Wohneinheiten in den Himmel. Zentrales Moment des Konzeptes der „vertikalen Stadt“ (Le Corbusier) war eine gewisse Infrastruktur. Im Unicenter plante man neben einem Schwimmbad auch ein Kino mit ein. (Dort habe ich in den 80ern einige Male den legendären Film der Rocky Horror Picture Show gesehen.)

Sehr deutlich sieht man auf dem Foto unten die Verwendung vorgefertigter Beton-Teile (die Balkone z.B.), mit denen die Fassade streng gegliedert ist. Heute hört man schon mal gerne ein verächtlich dahingesagtes „Betonklotz“. Aber ich kann in dem klaren Willen zur Struktur nichts Schlechtes erkennen. Vielmehr gefällt mir der visionäre Gedanke, dass man hier eine Art Dorf in der Stadt geschaffen hat. Dass eventuell durch merkwürdige Mieter sich ein schlechtes Image entwickelte, hat nichts mit dem Bau an sich zu tun. Und gehört mittlerweile auch ein bisschen der Vergangenheit an.

unicenter

Bauwerk als Skulptur

Besonders aufregend wird es im Brutalismus, wenn über die reine Darstellung der Gebäudefunktionen hinausgedacht wird. Es ist zwar auch eine besondere Qualität der Bauten, wenn sich das Innenleben eines Gebäudes unprätentiös außen ablesen lässt. Aber es darf auch gerne ein bisschen mehr Spiel mit der abstrakten Form sein.

Ein heimlicher Star unter den brutalistischen Bauten in Köln ist die Kirche der Katholischen Hochschulgemeinde. Der Bildhauer Josef Rikus und der Architekt Heinz Buchmann schufen mit der Kirche Johannes XXIII. ein wahrhaft eindrückliches Erlebnis. Die Idee eines Baumes – angelehnt an das Bild der Wurzel Jesse – zieht sich von unten nach oben und von innen nach außen. In der Krypta – die einer Idee der Höhle des Geistes folgt – wurzelt dieser Baum. Die kühnen Formen werden im Altar und dem Tabernakel gespiegelt, die wie abstrakte Holzskulpturen den Raum akzentuieren.

Kirche_Johannes_XXIII.,_Katholische_Hochschulgemeinde_Köln-8008

Mit dieser Kirche will ich mich demnächst noch etwas intensiver auseinandersetzen. Es gilt noch ein paar Daten und Hinweise zur Entstehung zu recherchieren. Da sie bei meinem letzten Besuch noch eingerüstet war, greife ich auf ein wunderbares Foto von Raimund Spekking auf Wikipedia zurück. Es freut mich natürlich sehr, dass hier das Erzbistum die Restaurierung der Kirche vorangetrieben hat. Für unsere Radtour steht auf jeden Fall auch eine Stippvisite bei diesem Highlight des Brutalismus an.

Es gibt noch viel mehr an herausragenden brutalistischen Bauten in Köln. Vielleicht ist dies der Beginn einer kleinen feinen Serie zum Thema. Auf jeden Fall freue ich mich schon sehr auf die Führung am Tag des offenen Denkmals.

 

 

 

 

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13 Antworten zu “Brutalismus in Köln”

  1. Ein spannender Beitrag.
    Vielleicht auch deshalb so interessant, weil sich immer wieder in der Stadtgesellschaft Debatten über Erhalt oder Abriss entzünden.
    Aktuell ein Diskussionsfaden bei einer facebook-Gruppe (geschlossene Gruppe; deshalb lohnt wohl kein Link) zum Rodenkirchener Bezirksrathaus. Dessen Abriss ist beschlossen, wird aber nicht umgesetzt. Der Verfall schreitet inzwischen fort…
    Dabei ist das Gebäude ein Relikt der Geschichte der ehemals selbständigen Gemeinde im Süden Kölns.
    Foto dei Wikipedia: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/a/a0/Rodenkirchen-m-Bezirksrathaus-058.JPG/768px-Rodenkirchen-m-Bezirksrathaus-058.JPG

    • Hallo Thomas,
      vielen Dank für den Hinweis auf das Rodenkirchener Rathaus. Es gibt bestimmt noch einige gefährdete Bauten. Unser Anliegen ist es, auf die Qualitäten hinzuweisen. Natürlich ist nicht alles, was aus Beton gebaut wurde, automatisch auch gut! Aber ich finde, man kann schon einen speziellen Gestaltungswillen identifizieren. Sicherlich ist auch das Rodenkirchener Rathaus in seiner strengen Klarheit ein interessanter Bau! Und wenn er noch für eine bestimmte Geisteshaltung steht, ist es umso wichtiger, dieses Erbe zu erhalten.
      Nun denn, schauen wir mal, wie der Denkmalschutz sich in der Zukunft weiter entwickelt.

      Viele Grüße
      Anke

    • Lieber Thomas Kahlix,

      vielen Dank für den Hinweis. Wir sammeln gerne weitere Seiten oder auch Literaturhinweise. Also, gerne immer her damit.

      Da wir vier auch anderen Jobs nachgehen, müssen wir schauen, wann wir mal wieder eine Tour veranstalten können. Es wird aber an einem Angebot gearbeitet.

      Viele Grüße
      Anke von Heyl

    • Freut mich, wenn das Thema gefällt. Wir planen auch eine extra Seite für das Thema. Stelle gerne den Link hier ein, wenn es soweit ist. Unterdessen sind wir mit „Brutalismus im Rheinland“ auf Facebook und Instagram aktiv.

  2. Ich bin seit ca. einem Jahr auch total vom Brutalismus begeistert. Ich habe vor kurzem
    das Collini Center in Mannheim sowie den Ebertsplatz in Köln bestaunt und fotografiert.
    Waren zwei schöne Ausflüge.
    Mein nächstes Ziel sind die „Blocks with chicken legs“ in St. Petersburg.

    • Hallo Michael,

      oh, das hört sich toll an – die Hühnerfüße in St. Petersburg kannte ich noch gar nicht. Schnell mal gegoogelt. Sensationell. Bist du auf Instagram unterwegs oder wo kann man deine Fotos sehen?

      Viele Grüße
      Anke

      P.S. Ebertplatz = Lieblingsort!

  3. Hallo,
    Ich würde gerne die Begeisterung für den Brutalismus verstehen.
    Es wird immer von irgendwelchen Konzepten für die Menschen geredet und irgendwas menschenfreundlichen reininterpretiert, aber das ist doch alles gescheitert. Es müsste ergebnisoffen sein und sich weiterentwickeln, es bleibt aber wie es ist – Massenabfertigung und billige Vereinfachung, Monumente der gescheiterten Experimente und des geplatzten Traumes von grenzenlosen technischen Fortschritt, Betonspielplatz elitärer Expertenrunden, Betonmanie, Automanie. Selbstherrlichkeit der Konstrukteure, die meinten alles absolut kontrollieren zu können.
    Übrig bleiben die Menschen die in und mit diesen Klötzen leben müssen und die alltägliche Wut dieser kurzgeistigen Konzepten ausgeliefert zu sein und sich arrangieren zu müssen, weil es nun mal jetzt so ist. Und es bleibt die Erinnerung an das was dem gewichen ist und durch das Übermaß dieser Konstrukte, eine verlorene Identität. Da klingt es wie Hohn die Killerphrasen zu höheren „muss den alles Verschnörkelt sein?“, -> zynische Pseudobildungs-Arroganz.
    Unicenter: Kein Schwimmbad u Kino mehr, nur Assigeschäfte u wohnen nur Assistent; Unibauten: zusamengepuzzelte Betonwüste; Ebertplatz: Lebensfeindliches Tunnelsystem, nur für Junkies und Prostituierte; Unikirch: Betonskelett und Mahnmal für den Kirchenaustritt;….
    Brutalismus spricht eine klare Sprach:
    Ihr seid alle dumm, es gibt Schlauere als ihr, davon habt ihr keine Ahnung! Zieht doch weg wenn euch das nicht passt und das Geld habt! Es gibt andere die haben das Geld und können euch sowas vor die Nase klotzen, mit der Absicht weiter Geld zu machen…was allerdings meist nicht aufgeht, weil die Konzeption durchweg falsch liegt. Und dafür steht Brutalismus, für eine kurze Phase der oberschlauen Betongigantomanie und Symbole gescheiterter Architektur-Wohn-Verkehr-Energie-Müll-Gift-Lebens-Renditte-Experimente, hält gerade mal ein paar Jahrzehnte, geht alles kaputt, will keiner haben, vergammelt vor sich hin. Ist zutiefst undemokratisch – Symbol für eine Diktatur der Philanthropen.
    -> wie kann man das gut finden? Was ist daran schützenswert?
    Ich würde es einfach gerne einmal richtig erklärt wissen….
    Gruß MFPeters

    • Hallo Herr Peters,

      vielen Dank für Ihren ausführlichen Kommentar. Darauf zu antworten ist ein bisschen schwer für mich, weil Sie so viele Dinge ansprechen und miteinander mischen. Ich gebe Ihnen völlig recht, was die Vernachlässigung und Verwahrlosung so mancher Bauten angeht. Und natüprlich ist nicht alles, das aus Beton gebaut wurde auch gleich erhaltenswert. Man muss schon genauer hinsehen, wenn es darum geht, den Stil in den Blick zu nehmen. Der Vorwurf des Elitären ist der brutalistischen Architektur aber vom Grundgedanken her nicht zu machen. Denn genau dagegen sollten ja die baulichen Konzepte stehen. Ich bin auch etwas ratlos, was ich antworten soll, wenn jemand ganz klar sagt: ich finde Beton hässlich. Da kann man dann lange dagegen argumentieren, am Ende ist das auch eine Geschmackssache.
      Ich nehme aber Ihren Wunsch ernst, dass es mal jemand gut und richtig erklären sollte, was am Brutalismus schützenswert ist. Wir treffen uns mit einem Arbeitskreis zur Nachkriegsmoderne und ich rege dort gerne an, dass wir dazu einmal Stellung beziehen. Dann könnte man hier in den Kommentaren vielleicht noch ein paar Argumente sammeln. Schauen Sie also gerne vorbei.

      Herzliche Grüße
      Anke von Heyl

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