Zauberei in Glas – Emile Gallé

Melancholie umwölkte die Stirn dieses Fin de siècle-Künstlers und bestimmte viele seiner sensationellen Erfindungen in Glas. Geprägt von einem protestantischen Elternhaus, wo jeden Abend in der Bibel gelesen wurde, entwickelte sich Emile Gallé zu einem Intellektuellen, der die dekadente Literatur seiner Zeit durchaus schätzte und mit eigenen Texten für die Nachwelt festhielt, was ihn bewegte. Als er 1904 mit nur 58 Jahren an Leukämie starb, galt er als einer der bedeutendsten Glaskünstler seiner Epoche. Als leidenschaftlicher Patriot bekannt, oft auch als hoffnungsloser Romantiker belächelt, setzte er seine Gefühle in wunderschöne Objekte um, deren Ausführung in vielen Fällen technisches Neuland betrat.

Wege eines großen Glaskünstlers

Als Emile Gallé 1846 in die Familie Gallé-Reinemer geboren wurde, schien seine Karriere als Kunsthandwerker vorbestimmt. Vater Charles Gallé war gelernter Porzellanmaler aus Paris und hatte in einen  kleinen Porzellanladen in Nancy eingeheiratet, den er schnell zu größeren Erfolgen bringen konnte. Der kleine, aber feine Veredelungsbetrieb für Tischgläser und Porzellane machte gute Geschäfte und durfte sogar Geschirr für den Haushalt Napoleons III. anfertigen. Einer seiner Mitarbeiter brachte seinen äußerst begabten Sohn mit ins Geschäft, der erst 11-jährig schon die wundervollsten Entwurfszeichnungen lieferte. Die lebenslange Freundschaft zwischen Victor Prouvé und dem zwölf Jahre älteren Emile hatte hier ihren Ausgangspunkt. Mit ihm gemeinsam arbeitete Emile Gallé an den ersten Entwürfen für das bekannte Service de ferme. Bevor Emile als künstlerischer Leiter die väterlichen Geschäfte übernahm, sollte er jedoch zunächst umfangreiche Lehr- und Wanderjahre absolvieren.

1862 ging er nach Weimar, um dort nicht etwa Glasbläserei zu studieren, sondern Philosophie, Botanik, Mineralogie und Zoologie. Hier sind die Wurzeln seiner späteren Begeisterung für die Flora und Fauna zu suchen. Die Beschäftigung mit der Mineralogie machte ihn mit der Technik des Glasherstellens vertraut und führte ihn weiter zu seinen zahlreichen Erfindungen auf diesem Gebiet. Gern ließ sich der junge Gallé von der geistigen Atmosphäre der Dichterstadt Weimar mitreißen. Hier lernte er die Musik von Franz Liszt und Richard Wagner kennen und schätzen. 1866 wechselte Emile Gallé nach Meisenthal, einem lothringischen Zentrum der Glasherstellung, und absolvierte eine Lehre bei einem langjährigen Geschäftspartner seines Vaters. In der Glashütte Burgun, Schverer & Co. konnte er die Glasbläserkunst von der Pike auf erlernen. Diese frühen Jahre waren begleitet von Studien auf dem Gebiet der Malerei, und er fertigte Zeichnungen, die er in der Firma seines Vaters wunderbar umsetzen konnte.

Anregende Begegnungen

1871 erhielt er die Gelegenheit, das Familienunternehmen auf einer Ausstellung in London zu vertreten. Dort konnte er vor Ort die Arts and Crafts-Bewegung kennen lernen und hielt sich häufig im Kunstgewerbemuseum auf, wo er in ersten Kontakt mit der japanischen Kunst kam. Diesen sollte er später entscheidend vertiefen durch die enge Freundschaft zu dem Naturforscher Tokuso Takasima, der sich Anfang der achtziger Jahre in Nancy aufhielt, um an der dortigen Forstwissenschaftsschule zu studieren. Mit ihm sprach er intensiv über Pflanzmethoden und Gartengestaltung. Bereits 1878 wurde Gallé als ausgewiesener Kenner für die Pflanzenabteilung der Weltausstellung in Paris hinzugezogen. Wie sehr ihn die Botanik interessierte, zeigte sich auch darin, dass er in seinen späteren Jahren einen intensiven Austausch mit dem Stadtbotaniker von Nancy pflegte und in seinem Anwesen La Garenne eigens einen Gärtner anstellte.

Die entscheidende Wende in der Entwicklung des Glaskünstlers ist auf das Jahr 1874 zu datieren, als ihm sein Vater die künstlerische Leitung der Betriebe überließ. Bereits vier Jahre später reüssierte der Filius auf der Weltausstellung mit einem viel beachteten Glas, das unter dem Titel Clair de lune ahnen ließ, in welche Richtung sich Gallé entwickeln würde. Die Begeisterung für dieses milchig-blaue Glas ließ in der Folge eine regelrechte Flut an Moonlight– bzw. Mondlicht-Gläsern anderer Manufakturen entstehen. So sehr kam dieses Glas dem damaligen Zeitgeschmack entgegen.

Inspirationsquelle Natur

 Auch wenn die Betrachtung der Natur – in fast pantheistischer Verehrung – für eine der wesentlichen Grundlagen der Kunst Emile Gallés stehen kann, kam ihm doch nichts weniger in den Sinn als deren bloße Nachahmung. Er selbst drückte es einmal gegenüber der Jury für die jährlichen Ausstellungen auf dem Marsfeld in Paris so aus: „Die Jury wird sicherlich feststellen, dass obwohl die Natur immer mein Ausgangspunkt ist, versuche ich mich rechtzeitig von ihr zu befreien, um zu meinem eigenen Charakter und Ausdruck zu gelangen.“

Gallé erschien zu den jeweiligen Jurypräsentationen für die Kunstgewerbeschauen stets außerordentlich gut vorbereitet und mit ausführlichen Erläuterungen in Schriftform. Diese legten den Grundstock zu den Ecrits pour l’Art, die seine Witwe Henriette 1908 veröffentlichte. In diesen Schriften findet man auch die Ansätze zu seiner symbolistischen Naturbetrachtung, die den Pflanzen eine Seele zuzuweisen gedachte. Hier besang er die Königin Rose und zeigte sich fasziniert von der Ausstrahlung der Orchidee, die allen Sinnen Nahrung gibt und mit ihrer außergewöhnlichen Form und ihrem betörenden Duft sämtliche Mysterien dieser Welt in sich zu vereinen scheint. Sie scheint geradezu die Symbolpflanze der Décadence darzustellen. Doch nicht nur die Orchidee findet man auf vielen Vasen Gallés, auch rausch- und todbringende Pflanzen wie der Schierling laden die Glasobjekte emotional auf. Mit zahlreichen Insekten – hier dominiert wie im gesamten Art Nouveau die schaurig-schöne Libelle – experimentierte Gallé auf seinen Gläsern und schuf  effektsuchende Prunkstücke ähnlich denen des Manierismus. Besonders raffiniert erscheinen die Kombinationen von Insekten und verschiedenen Einschlusstechniken auf dem Glas, die an Bernsteinfunde aus Urzeiten erinnern.

Sprechende Gläser

Wenn die Natur sein Ausgangspunkt war, so sind es vor allem die Bezüge zur zeitgenössischen Literatur, die seine Kunst in andere Dimensionen gelangen ließen. In zahlreichen seiner Kunstwerke hat Gallé literarische Zeilen verarbeitet, die seinen ausgewiesenen Hang zum Symbolismus offenbaren. Die wohl wichtigste Neuinterpretation der Glaskunst waren als Ergebnis dieser Entwicklung seine so genannten Verres parlants („sprechende Gläser“). Gallé selbst wies darauf hin, dass es auf dem Feld der Dekoration vor allem darauf ankomme, eine Idee durch ein Bild zu erzeugen. So schuf er den Décor symbolique als sein Medium, dieses zu erreichen. Mit diesem Ansatz ist Emile Gallé der wahrhafte Vertreter der Jugendstil-Kunst, deren Anliegen neben dem dekorativen Thema auch die symbolistische Überhöhung desselben gewesen war. Gallé entwickelte die Verwendung von Inschriften auf Gläsern zu einer neuen Finesse. Er schuf mit sorgsam ausgewählten Zitaten eine besondere Stimmung, die eine Vielzahl von weiterführenden Assoziationen möglich machen sollte. Dabei schienen ihm die Zitate von Charles Baudelaire besonders sinnfällig. Angesichts dessen Hauptwerks Les Fleurs du Mal („Die Blumen des Bösen“) vor allem dann, wenn sie seine Blumenobjekte zur dekadenten Chiffre veredelten. Baudelaires Blumenmystizismus barg wichtige Anregungen für die Kunst Emile Gallés. Aber auch Victor Hugo kam oft zum Einsatz, der Dichter, mit dem sich Gallé besonders auf der Ebene der patriotischen Gesinnung getroffen hatte. Hier und da verwendete Gedichtchen der Ehefrau oder eigene tiefgründige Sprüche rundeten die Serie der „sprechenden Gläser“ ab.

Vase „Les Lumineuses“ mit einem Vers von Victor Hugo, MKG Hamburg

Der Ausdruck des Materials

Als Gallé 1889 auf der Weltausstellung in Paris mit seinen Vases de Tristesse („Vasen der Trauer“) Furore machte, waren sie auf der einen Seite sicherlich das Ergebnis erfolgreicher Experimente mit dem so genannten Hyalith-Glas, einem dunklen, fast schwarzen Glas, das herzustellen vor ihm niemandem gelungen war. Auf der anderen Seite waren diese Kunstobjekte ganz dem Zeitgeist des Fin de Siècle verpflichtet, trugen sie doch die ganze Melancholie und Erdenschwere der dekadenten Gesellschaft in sich. Gallé widmete diese „traurigen Vasen“ teils den „forêts qui ne sont plus“, den vergangenen Wäldern, aber auch guten Freunden, die jüngst verstorben waren.

Die Pariser Weltausstellung wurde für Gallé, den „Zauberer der Glaskunst“, zum Triumph. Hier wurden seine über hundert verschiedenen Farbnuancen im Glas bewundert und seine aufregenden Techniken der Verarbeitung gefeiert. Am 26. April 1889 hatte Gallé sein Patent für eine komplizierte, aber äußerst effektvolle Glastechnik angemeldet: die Marqueterie. Diesen Begriff kannte man aus der Holzverarbeitung und ähnlich wie dort funktionierte das Verfahren auch mit Glas – einzelne Glasstücke mit spezifischen Formen wurden in den Glas-Posten eingelegt und mit der Glasoberfläche flach gewalzt. Eigentlich ein simples Prinzip, das im Übrigen schon den antiken Glaskünstlern bekannt gewesen sein muss. Allerdings bestand die Schwierigkeit dieser Technik darin, dass bei der Ausführung, für die ein mehrmaliges Erhitzen des Glasrohlings notwendig war, die verschiedenen Glasstrukturen unterschiedlich reagieren konnten und das ganze Ergebnis dadurch zerplatzen konnte. Hier hatte Gallé zahlreiche Experimente angestrengt, die ihm letzten Endes zeigten, welche Temperaturen und welche Glasmischungen am besten funktionieren würden.

Gleichzeitig mit der Marqueterie-Technik hatte Gallé eine weitere Technik als Patent angemeldet: die Patinierung. Interessanterweise nutzte er bei diesem Verfahren einen Effekt, der die meisten Glashersteller eher störte, nämlich das Einlagern von Rußpartikeln, die im Atelier eines Glasbläsers durch das offene Feuer zwangsläufig im Raum schweben. Der Perfektionist Gallé dachte sich, wenn er diese Verunreinigung des Glases schon nicht vermeiden konnte, so wollte er sie zumindest kontrollieren. So nutzte er den Effekt gezielt, um eine Oberflächenstruktur seiner Gläser und Vasen zu erreichen, die haptisch an andere Materialien erinnerten. An Stoff etwa oder an den zarten Hauch des Raureifs. Der Siegeszug des Glases als Stimmungsträger nahm mit dieser Technik seinen Lauf.

 Weitere Experimente wurden im Labor Emile Gallés vorangetrieben. Sie alle schienen vorrangig dem Ziel zu dienen, die Gefühle, Träume und Vorstellungen ihres Meisters zu transportieren. Mit Zinnoxyd, Kalkbeimischungen und Knochenasche entwickelte Gallé ein undurchsichtiges Glas, das so genannte Opakglas. Nachdem frühere Glashersteller sich um äußerste Klarheit des Glases bemüht hatten, erzielte der virtuose Gallé nie zuvor gekannte Effekte im Glas. Das Opakglas entstand nach einer Mischung der Glasmasse mit Fluoriden und schimmerte geheimnisvoll. Mit der Entwicklung des schwarzen oder auch roten Opakglases – auch Hyalith genannt – nutzte Gallé ganz bewusst die Materialästhetik für die Stimmung seiner Gläser. Hier kam eine Technik besonders zum Tragen, mit der Gallé seit 1882 gearbeitet hatte und die er zur absoluten Vollendung entwickelt hatte: die Technik des Überfangens. Eine Technik, bei der der Glasrohling mit einer weiteren Glasschicht – meist andersfarbig – überfangen wird. Bei seinem Aufenthalt in London hatte Gallé die berühmte Portland-Vase im British Museum gesehen und sich von der antiken Kameentechnik nachhaltig beeinflussen lassen. Nun nutzte er sie, um in die verschiedenen Glasschichten seine Landschaften und Naturerlebnisse zu schneiden.

Der Erfolg der Manufaktur

Gallé war stolz auf seine zahlreichen Erfindungen und wurde nicht müde, ihre Einzigartigkeiten zu rühmen: „Die Menge der von mir nach einer Unzahl von Versuchen entwickelten Zubereitungs- und Kompositionsweisen für meine Fabrikation der polychromen Stücke ist nicht geringer als hundert. Doch erlauben mir ihre Kombinationsmöglichkeiten eine unbegrenzte Vielfalt von Zufällen und Nuancen zu erzielen, die von der Glaskunst niemals hervorgebracht wurden.“ Abgesehen von seinem Stolz auf das eigene Schaffen zeigte sich Gallé aber auch von den Erfindungen anderer großer Glaskünstler beeindruckt. So ahmte er voller Respekt das berühmte Lavaglas von Tiffany nach – dessen Manufaktur allerdings bereits längere Zeit Kunde bei Gallé-Reimener gewesen war.

Die besonders bemerkenswerten Glasobjekte von Gallé wurden nie in einer höheren Auflage veröffentlicht. Mehr als fünf Ausführungen in einer Serie gab es nie. Dass die Manufaktur Gallé sich parallel mit der Entwicklung der Massenproduktion beschäftigte, geschah aus ökonomischen Überlegungen. Die Technik des Ätzens ermöglichte hierbei das Verzieren einer großen Stückzahl von Glasobjekten auf schnellem Wege. Die Rohlinge hierzu kamen aus dem mittlerweile von Deutschland besetzten Meisenthal. Allerdings schätzte Gallé das Ätzen nicht sehr, da hierbei auch viel zerstört werden konnte und der Künstler sich in seinem Gestalten dem teils zufälligen Weg der Ätzflüssigkeit unterordnen musste.

Besonders interessant sind die Objekte seiner Produktion, die ausnahmsweise Einzelstücke sind. Meist waren dies Auftragsarbeiten, wie die Vase, die er zum siebzigsten Geburtstag von Louis Pasteur anfertigte; oder jene für Ernest Solvay, die Gallé 1902 für den belgischen Chemiker auf einen Sockel aus Sodakristallen montierte. Auch für die Zarenfamilie schuf Gallé ausgewiesene Einzelstücke – oft in Kombination mit Halterungen, die vom berühmten Juwelier Fabergé stammten.

Vitrine aus dem Rijksmuseum, ca 1900

Der Möbeldesigner Gallé

Auf der Weltausstellung 1889 offenbarte der Meister jedoch auch noch ein weiteres Betätigungsfeld – und dies mit einem kaum zu überbietenden Paukenschlag. „Ma racine est au fond des bois“ hatte er einst theatralisch geäußert: „Meine Wurzeln liegen tief im Wald.“ Nun zeigte er sich auf der Weltausstellung auf der zentralen Grande Galerie d’Honneur als Möbeldesigner, mit einem Pavillon, der allein durch seine imposante Höhe von 15 Metern Eindruck machte. Eine Vitrine aus Zedernholz mit einem Innenfurnier aus blassblau gebeizter Esche wurde von aprikosenfarbenen Schleiern dekoriert. Die Krönung bestand aus einer säulenverzierten Laube, von deren Dach Draperien herabflossen. Hier nun stellte Gallé seine Möbel aus, an denen er seit ungefähr fünf Jahren gearbeitet hatte. Wie er, der er doch auf die Bereiche Keramik und Glas spezialisiert war, zu der Beschäftigung mit dem Schreinerhandwerk kam, ist durch zwei Geschichten überliefert. Die eine, wohl mehr Anekdote um der eigenen Legende willen, erzählt der Künstler selbst. Darin verbindet er die Beschäftigung mit dem Holz, das ihn wie die Wurzeln der Natur festgehalten habe, mit Visionen, die ihn beim Anblick von faszinierenden Holzmaserungen überkamen. Die andere Geschichte geht darauf zurück, dass man Gallé 1884 zur Teilnahme an der Ausstellung La pierre, le bois, la terre et le verre („Der Stein, das Holz, die Erde und das Glas“) aufgefordert hatte – und zwar unter der Bedingung, dass er zu allen Sparten etwas liefern würde, also nicht nur Keramik und Glas, sondern auch zum Themengebiet Holz. Und so kam es, dass Emile Gallé sich auf der Weltausstellung 1889 nicht nur als gefeierter Glaskünstler präsentierte – seine Gläser und Vasen stellte er übrigens in einem ähnlich pompösen Kiosk aus –, sondern auch als Maître Ebéniste – als Meister der Kunsttischlerei. Sicher spielte die Begeisterung des Publikums für die Gestaltung der privaten Umgebung – eine Begeisterung, die durch Vermittler wie Samuel Bing hervorgerufen wurde – eine entscheidende Rolle. Man verlangte geradezu nach Möbeln mit dem erfolgreichen Gallé-Schwung. Dieser hatte von Anfang an darauf geachtet, Entwürfe für spezielle Prunkstücke gleichberechtigt neben Vorlagen für den Massenmarkt zu stellen. Hier zeigte sich auch die soziale Ader des Künstlers auf, der sich nicht nur politisch einmischte, sondern auch der Meinung war, dass den sozial schwächeren Schichten ein guter Geschmack möglich sein sollte. Selbstverständlich nutzte Gallé die beim Glas erfolgreich eingesetzte Technik der Marqueterie auch bei seinen Möbel-Entwürfen, in denen er die delikaten Farbschattierungen verschiedener einheimischer Obstgehölze zauberhaft kombinierte. Auch ihnen versuchte er mithilfe thematischer Ausrichtungen eine Seele einzugeben. Er schuf den „Tisch des Rheins“, eine Frisierkommode mit dem Titel „Der Duft der Vergangenheit“ und ein Bett mit einem in das Fußende geschnitzten überdimensionalen Nachtfalter. Technisch gesehen blieben die Möbelentwürfe Gallés jedoch eher konventionell und erinnern an die Entwürfe der französischen Ebenisten im 18. Jahrhundert.

Letzte Erfolge

Seine wahre Meisterschaft, seinen delikaten Manierismus, zeigte Gallé in seinen Glasobjekten, und seine späten Entwürfe bestätigten dies noch einmal eindrucksvoll. Seine Kunstwerke gelangten besonders dann zu epochaler Bedeutung, wenn äußere Form und Inhalt zu einer harmonischen Einheit verschmolzen. Diese Artefakte, die den Rahmen der traditionellen Glaskunst sprengten, sind das eigentliche Vermächtnis Emile Gallés, dessen Entwicklung in Richtung Moderne sein früher Tod jäh beendete. Noch auf der Weltausstellung 1900 hatte er sein Publikum mit der Inszenierung seines Standes neuerlich überraschen können. Ein Miniaturofen bildete das Zentrum, mit Bruchglas und herumliegenden Gerätschaften schuf er einen überraschend intimen Einblick in seine Ideenschmiede. Über der Öffnung des kleinen Schmelzofens stand geschrieben:

„Aber wenn die Menschen böse werden, Wahrheit und Gerechtigkeit verdrehen, kommt zu mir, ihr Dämonen des Feuers! Lasst die Vasen bersten und den Ofen einstürzen, auf dass alle Menschen lernen, Gerechtigkeit zu üben!“

Zu dieser Zeit hatte Gallé auch Gefallen gefunden an der theatralischen Wirkung der modernen Lampen mit elektrischem Licht. Sie schienen ihm passende Objekte für die nach Luxus und Sensation gierende Gesellschaft des Fin de Siècle. Jene inszenierten Lichtbringer, seine Modelle mit welkenden Blüten und vor allem das  legendäre Objekt „Algenhand“ bestimmen das Œuvre Gallés nach der Jahrhundertwende. Nach seinem Tod führte seine Frau den Betrieb weiter. Den Ersten Weltkrieg überstand sie, indem sie Laborglas für die Lazarette lieferte. Als die Manufaktur sich 1925 erneut an der Weltausstellung beteiligte, wurde endgültig offensichtlich, wie sehr Gallés Werke noch den Zeitgeist des Fin de Siècle atmeten: Neben den Art déco-Gläsern wirkten sie wie aus einer anderen Welt. Aber genau dies macht den Reiz der Arbeiten aus. Sie scheinen aus einer anderen Welt zu stammen. Aus einer zauberhaften Welt, zu deren Pforte die Poesie der Schlüssel ist.

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