Venus und Adonis


Zehn Monate waren bereits vergangen, seit Venus die schöne Myrrha in einen Baum verwandelt hatte. Voller Verzweiflung hatte sich die Tochter des Cinyras an die Göttin gewandt und gejammert, weder den Lebenden noch den Toten zugehören zu wollen. Venus, die Göttin der Schönheit, erhörte ihr Flehen. Ihr Herz wurde vom Leid der Myrrha berührt und sie konnte sich nicht taub stellen. Hatte sie doch auch einen großen Anteil am Schicksal der Unglücklichen!!

Was war passiert? Wie so oft war es um die Eitelkeiten zwischen Sterblichen und Göttern gegangen: Königin Chenchreis hatte die Anmaßung besessen, die Göttin der Schönheit herauszufordern. Die Haare ihrer Töchter seien schöner als die der Venus. Wie hatte die Göttin bei solch einer Provokation ruhig bleiben können? Voller Zorn bebend hatte sie damals gerufen: „Chenchreis, verflucht seist du und deine Brut. Sollen deine Töchter in der Fremde verheiratet sein und in der Verbannung sterben. Die Jüngste aber, Myrrha, will ich besonders strafen. Du wirst schon sehen, was du von deiner Eitelkeit hast!!“

Bebend vor Zorn hatte sie die unschuldige Myrrha verzaubert, auf dass sie in unstillbarer Liebe zu ihrem Vater, dem König Cinyras, entbrennen sollte. Nachdem diese in geistiger Verwirrung das Nachtlager ihres Vaters aufgesucht und den Beischlaf mit ihm erschlichen hatte, wollte der König seine junge Geliebte sehen. Wer war dieses schöne Wesen, das ihm die Nacht so angenehm versüßt hatte? „He, Diener, bringt mir Licht! Komm, meine Schöne, bleib bei mir! Na, was hast du denn, warum windest du dich so in meinem Arm? Diener, wo bleibt denn das Licht!!“ Myrrha versuchte verzweifelt, sich loszureißen, doch der harte Griff des Königs war stärker. Nun kam endlich der Diener mit der ersehnten Fackel und der König hielt sie über das Nachtlager, damit er das Antlitz der Schönen sehen konnte. Ganz sanft erhellte der Schein des Feuers die goldenen Haare und fiel flackernd auf das Gesicht. „Neeeeein! Was um aller Götter willen ist hier geschehen!!! Das darf nicht sein! Was … Verflucht seist du … Wie konntest du … wo willst du hin … warte – bleib stehen – Myrrha!!! Ich werde dich töten!“

Voller Entsetzen sah der König sein eigen Fleisch und Blut in seinem Bett liegen und musste erkennen, dass seine Jüngste die Geliebte gewesen war. Er riss sein Schwert aus der Scheide. Wie gut, dass er das er immer neben seinem Bett liegen hatte! Rasend vor Zorn rannte er der Flüchtenden nach. Hinaus in die Heide. Immer näher kam er ihr und schon holte er zum finalen Schlag aus!

„Ihr Götter! Helft! Venus – ich flehe Euch an! Im Namen der Liebe, habt Erbarmen! Ich kann nicht mehr unter den Lebenden weilen! Zu den Toten darf ich auch nicht ziehen! Ich bin unwürdig! Erhört mein Flehen, nehmt mich aus dieser Welt!“ Und als der König nur noch eine Haaresbreite davon entfernt war, mit dem scharfen Schwert seiner jüngsten Tochter das Lebenslicht auszulöschen, tat Venus ihren Zauber und verwandelte die verzweifelt Myrrha in einen immergrünen Busch. Vorbei der Spuk! Noch im Schwung hielt der König inne und ließ langsam sein Schwert sinken. Er verstand, dass er soeben Teil eines göttlichen Plans geworden war, und zog sich in seinen Palast zurück, wo er voller Trauer die Rückkehr seiner Frau Chenchreis erwartete.

Wie schon gesagt – das alles war zehn Monate her! Heiße Tränen aus wohlriechendem Harz waren in den vergangenen Monaten aus dem Myrrhenbusch geflossen, und nun hatte ein umherstreifender Eber auch noch mit seinen Hauern einen tiefen Spalt in den Stamm gerissen. Als Venus an einem herrlichen Sommermorgen an der Stelle vorbeiwandelte, wo sie vor einigen Monaten die Myrrha in einen Strauch verwandelt hatte, vernahm sie ein Wimmern aus der Richtung des Bäumchens. Sie trat näher und traute ihren Augen kaum! „Beim Zeus und bei meiner Schönheit! Was ist das denn? Ein Babyärmchen winkt mir aus dem Holz entgegen! Das ist ja … komm her, mein Kleiner! Wer bist du denn? Oh, welch eine Schönheit! Nie sah ich ein lieblicheres Knäblein. So perfekt gebildet, so leuchtend, so weich! Es ist ein Wunder, was ich hier in den Händen halte!“ Sanft zog die Göttin den neugeborenen Jungen aus dem Spalt des Myrrhenbusches. Er war wirklich perfekt. Der schönste und edelste Junge weit und breit. Eifersüchtig verbarg die Göttin das Geschöpf in den tiefen Falten ihrer Palla. „Ich werde dich Adonis nennen! Aber was fange ich nur mit dir an? Wie vermeide ich die neidischen Blicke der anderen? Wie kann ich dich nur für mich bewahren?“ Indem sie hin und her überlegte, bettete sie den Knaben, der indes eingeschlafen war, in ein kostbares Kistchen. „Ah, ich habe eine Idee, die mir sehr schlau erscheint. Bringe ich das Kind zu meiner Gevatterin, der Göttin Persephone, so wird kein Lebender die Schönheit des Knaben je bemerken. So kann er – verborgen in der Unterwelt – zu einem starken Manne heranreifen.“

Von weit her wehten glockenhelles Gelächter und brummende Laute heran. Venus wandte ihren Kopf. Nanu, was war das denn jetzt schon wieder? Sie ging ein paar Schritte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war, und teilte ein paar Büsche. Auf einer Lichtung bot sich ihr ein sonderbares Schauspiel. Um einen zotteligen Satyrn herum sprang eine Schar nackter Nymphen, die sich nicht schämten, mit ihren offensichtlichen Reizen den sichtlich verwirrten Satyr zu erregen. „Asopis, Korkyra, Eudora, Aganippe – was tut ihr da?“ Venus legte all ihre Autorität als Gottheit in diesen Ruf und die Nymphen erstarrten bei ihrem Anblick. „Herrin, verzeiht! Es war nur ein Spiel. Er liebt es – nicht wahr, mein Lieber?“ Eudora strich dem Satyrn über das struppige Haupthaar und dieser gab wieder einen dieser Grunzlaute von sich.

„Nicht böse sein, göttliche Venus! Du weißt doch, wie gerne wir tanzen.“
„Ja, und es ist doch auch nichts Böses dabei.“
„Oh, Herrin, was tragt Ihr da Liebliches bei Euch. Welch ein kostbares Kästlein. Was ist drinnen verborgen?“
„Zeigt es uns!“
„Wir möchten daran teilhaben!“
„Bitte, wir sind sooo neugierig!“
„Herrin, macht schon auf!“

So schnatterten die Nymphen durcheinander, und da der Satyr sich schon in den Wald davongetrollt hatte, konnte Venus ihren Besitzerstolz nicht länger verbergen und sie hieß die aufgeregt durcheinanderschnatternden Nymphen nähertreten.

„Oh, etwas Schöneres sah ich nie!“ Atemlos vor Begeisterung stieß Asopis diesen Ruf aus. Die anderen schwiegen andächtig, als sie den wunderschönen Jungen erblickten. Venus erzählte den Nymphen das Notwendige, was sie wissen mussten. Dabei ließ sie geflissentlich die Stelle aus, wo sie als Zauberin in Spiel kam, die Myrrha aus Eifersucht mit dem folgenschweren Bann belegt hatte.

„Was geschieht jetzt mit ihm, Venus?“

Eudora sprach aus, woran alle dachten: „Wir können ihn aufziehen!“ Venus, die Göttin, konnte sich nicht um ein Neugeborenes kümmern. „Eine gute Idee, Asopis“, sprach Venus Anerkennung aus. „Daran habe ich selbst schon gedacht. Aber mir ist wichtig, dass er nicht von neidischen Blicken gesehen wird. Ich möchte nicht, dass sich seinetwegen irgendwelche eifersüchtigen Streitereien entwickeln …“ Sie sah mit stechendem Blick in die Runde.

„Ich kenne euch, meine Lieben! Und deswegen habe ich entschieden, ihn zunächst zu Proserpina zu bringen!“
„Nein, das könnt ihr nicht ernsthaft in Erwägung ziehen, große Venus! In die Unterwelt! In das Dunkel, wo ihn nie ein Lichtstrahl erreichen wird! Das ist zu hart!“
„Ihm wird nichts geschehen und ich kenne meine liebe Proserpina nur allzu gut. Sie wird ihn vergöttern und ihm in der Unterwelt den Himmel bereiten!“

Mit diesen Worten drehte sie sich um und ging durch den Wald davon. Den verdatterten Nymphen blieb nur, ihr mit offenen Mündern hinterher zu starren.
Nachdem Proserpina acht Monate in Gesellschaft ihrer Mutter Demeter auf der Erde verbracht hatte, war sie vor kurzem wieder in die Unterwelt zu ihrem Gatten Hades zurückgekehrt. „Ach, hätte ich doch damals nicht diese verdammten Kerne des Granatapfels gegessen, dann müsste ich nicht immer wieder in diese trostlose Dunkelheit“, jammerte sie. Hades sah sie mit sorgenvoller Miene an. Er hatte durchaus ein schlechtes Gewissen! So wie er damals das Mädchen Kore, das Proserpina einmal gewesen war, einfach entführt hatte in die dunkle Unterwelt. Das war nicht recht gewesen. Aber er liebte sie doch über alles. Er wollte ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen. Sie sollte nicht so traurig schauen!!!

„Meine liebe Venus! Wie geht es dir?“ Mit einem Lächeln auf den Lippen trat Proserpina der Göttin entgegen. Sie freute sich wirklich, die lichte Gottheit in dieser trostlosen und dunklen Umgebung zu sehen. „Was bringst du für Neuigkeiten?“ Mit einem knappen Nicken blickte Venus herüber zu Hades. Sie mochte ihn nicht, musste aber den Anstand wahren. „Schau, Proserpina, was ich gefunden habe! Einen Knaben, so schön, wie ihn die Welt noch nie gesehen hat.“ Mit diesen Worten öffnete sie die Kiste, in der Adonis selig schlummerte. Proserpina tat einen lauten Jauchzer. So laut, dass Hades fast von seinem Thron gefallen wäre. Was war denn da los? Er näherte sich den beiden Frauen und sah den Knaben, vor dessen Anblick sie versunken knieten.

„Also, Venus, wer ist das denn?“ donnerte er los. Doch als er die strahlenden Augen von Proserpina sah, verwarf er seine polternde Predigt sofort. Sie wirkte so glücklich wie schon lange nicht mehr. „Hades, mein Gebieter und lieber Gatte, Venus möchte, dass ich auf den Jungen achtgebe. Er soll hier bei uns aufwachsen. Das ist eine wunderbare Idee. Ich habe mir schon überlegt, wir könnten dort hinten einen künstlichen Blumenhain aufstellen lassen, natürlich sollen auch Musikanten von morgens bis abends spielen und ich möchte einen Chor von schönen Mädchen kommen lassen, die …“ schwärmte Proserpina und schien gar nicht mehr zu merken, was um sie herum geschah. Obwohl Hades eigentlich der Meinung war, die Unterwelt sei kein Ort für solche lebendigen Wesen und er auch eigentlich keine Lust hatte, sich von Babygeschrei stören zu lassen, erlaubt er seiner geliebten Proserpina, das Kind zu behalten. Zufrieden zog Venus ab. Sie hatte erst einmal dafür gesorgt, dass Adonis behütet und vor allem vor den Augen der Welt gut verborgen war.

Die Jahre vergingen und Adonis wuchs zu einem wunderschönen jungen Mann heran. Kräftig war er, doch auch elegant in seinen Bewegungen. Sein rosiges Gesicht zeigte noch leichte kindliche Züge, die jedoch in Verbindung mit der sich entwickelnden Manneskraft zu einer äußerst charmanten Mischung führten. Es gab eine Sache, die Adonis ganz besonders liebte, und das war die Jagd. Stundenlang konnte er einem Wild hinterherreiten, bis er es endlich erlegte. Sein Verlangen nach körperlicher Verausgabung war groß und er maß sich gerne im sportlichen Wettkampf. Doch nichts kam an dieses wilde Gefühl heran, das er verspürte, wenn er im direkten Kampf einen Keiler erlegte. Diese gefährlichen Tiere hatten es ihm besonders angetan.

Es war ein lauer Sommerabend und Adonis wandelte über die blumenbestandenen Wiesen und legte sich zu einer kurzen Rast unter einen Baum. So döste er vor sich hin und merkte nicht, wie sich die Göttin Venus näherte. „Oh, genau so habe ich ihn mir vorgestellt“, murmelte diese, als sie ihn ausführlich betrachtete. „Genau so schön, so kraftstrotzend und so wild. Seine Lippen, wie köstlich seine roten Lippen scheinen. Ich kann nicht anders, ich muss sie küssen!“ Und so beugte sie sich herunter zu Adonis und legte ihre weichen Lippen auf die seinen. Eine Schrecksekunde später schob der verwirrte Jüngling die Göttin von sich. „Wer bist du? Was willst du? Was fällt dir ein? Ich glaube nicht, dass ich dir erlaubt hätte, das zu tun. Das gibt es doch nicht! Woher nimmst du diese Dreistigkeit?“

Venus sah Adonis mit leisem Lächeln an. „Mein lieber Adonis! Wir sind füreinander bestimmt! Ich war es, die dich dereinst fand und zu Proserpina gab! Ich war es auch, die bei Zeus erwirkte, dass du nicht die ganze Zeit des Jahres bei ihr weilen musst, sondern auch eine Weile in der Götterwelt und in der irdischen Welt leben darfst. Ich war es, die sich immer um dich sorgte. Du bist mein Leben, meine Liebe … Vergönn mir noch einmal, diese köstlichen Lippen zu berühren!“ Und schon senkte sie ihr Haupt wieder dem Antlitz des Jünglings zu.
„Moment! Wer bist du? Ich fordere dich auf, nenne deinen Namen!“ „Ach mein Dummchen … Ich bin Venus!“ Adonis sah sie voller Verwunderung an. Ja, sie war schön und ihre Gestalt strahlte diese unnachahmliche Würde aus, die nur eine Göttin verströmen konnte. Venus? Die Göttin der Liebe? Er musste nachdenken. Aber sie wollte ihn schon wieder umfassen und küssen. Er wehrte sie ab. „Jetzt lass mich doch bitte! Mir ist das alles zu viel! Du kannst mich doch nicht so überfallen!“ Während er diese Worte sprach, sah er, wie sich der Blick der Göttin verfinsterte. Sie wirkte hin und her gerissen zwischen Wut und Trauer. In ihr schien eine nie geahnte Verzweiflung hochzusteigen. Und mit einem kleinen Seufzer sank sie in eine tiefe Ohnmacht. Da erschrak Adonis! Das hatte er nicht gewollt. Es kam doch nur so überraschend für ihn, dass die schöne Göttin sich mit solch einer Macht zu ihm hingezogen fühlte. Nun, da ihre Sinne schwanden und sie so vor ihm dahingegossen dalag, da stieg auch in ihm ein großes Verlangen auf. Verlangen nach diesen süßen Lippen, die ihn noch vor kurzem so fordernd liebkost hatten. Verlangen nach der schlanken Taille, die er so gerne umfassen wollte. „Göttin … holde Venus … Herrin, hört Ihr mich? Bitte öffnet Eure Augen! Tut einen Atemzug! Bitte!!“ Aber Venus rührte sich nicht. Obwohl sie ihre Ohnmacht schon längst überwunden hatte, hielt sie es für schlauer, weiterhin so zu tun, als wenn sie nicht wach wäre. Ach, wie sie die Liebkosungen des Jünglings genoss!

Die Abendsonne schien sanft auf das in endloser Zärtlichkeit miteinander verwobene Paar. Venus war glücklich wie noch nie und wollte ewig so liegen bleiben. Doch ihren Geliebten zog es weiter. Hatte er doch schon seit Wochen versucht, einen besonders prächtigen Keiler zu erlegen. Dieses mächtige Tier war sehr schlau! Aber Adonis hatte sich vorgenommen, den Kampf mit dem Keiler aufzunehmen. In ihm regte sich der Jagdtrieb und leise flüsterte er der Göttin seine Pläne ein.

„Ach, Adonis, mein schöner Geliebter. Bitte höre auf mich. Ich weiß um die Gefahren, die die Jagd mit sich bringt. Und gerade solch ein ausgewachsener Keiler ist äußerst aggressiv und gefährlich. Ich möchte nicht, dass dir auch nur ein Haar gekrümmt wird. Bitte, bitte, lass ab von deinem Vorhaben.“

Adonis lachte laut auf. „Holde Schöne, warum machst du dir Sorgen? Das musst du nicht. Ich verstehe mich auf das Jagen. Ich habe schon die mächtigsten Tiere im Kampf erlegt und kann es wohl mit so einem Keiler aufnehmen, das kannst du mir glauben.“ Es gingen noch einige Worte hin und her, aber schließlich sah Venus ein, dass sie Adonis nicht zurückhalten könnte. Sie hatte ein ungutes Gefühl dabei, ließ ihn aber endlich ziehen und machte sich auf den Weg zu einer nahegelegenen Lichtung, wo sie sich mit einigen Nymphen treffen wollte. Diese flatternden und schnatternden Wesen sollten sie ablenken. Und tatsächlich, nach einigen Liedern und mit duftenden Blumenkränzen verehrt, ging es der Göttin schon bald besser.

Sieben Wochen schon schreit Kypris,
Denn Adonis starb,
Der schönste der Menschen.
Die Sterne weinen nachts Sternschnuppen,
Und salzig von Tränen ist
Das Gewässer der Flüsse.

An den Quellen sitzen die Nymphen
Und schluchzen,
Und jammernd durch Feld und Hain
Streifen Eroten.
Ihr Klagegeschrei
Ai ai ai
Durchhallt die Schluchten und schreckt
Den einsamen Wanderer.

Unseligen Tod
Starb der Geliebte.
Denn als er wandelt
Durch den Wald,
Begegnet ihm ein wilder Eber,
Der alsogleich entbrennt wider den Schönen
In Liebe.

Liebkosend er gegen ihn sprang.
Aber so rau war seine Zärtlichkeit,
Dass mit den Hauern er
Dem schönen Knaben
Die Brust zerriss.
Unbeerdigt lag er im Moose
Unverwest.

Kein Wurm ihn benagte
Und keine Krähe ihn hackte.
Der Mond hielt mit bleicher Fackel
Die Totenwacht.

Die Geister der untern Welt,
Sie kamen
Schleichend und schillernd
Herauf
Und saßen am weißen Strom seines Leibes
Wie an den Ufern des heiligen Flusses.

Und Charon nahm
Am siebenten Tage
Den leuchtenden Leichnam
Auf seine Schulter wie ein totes Reh,
Das der Jäger nach Hause trägt
Zu den Seinen.

Der Leichnam blinkte
In den Grotten der Unterwelt
Wie eine weiße Ampel.
Von allen Seiten
Die toten Seelen
Wie nächtliche Falter zum Lichte flogen,
Bis sie ihn deckten
Bedeckten
Und er
Unter den schwarzen Flügelschlägen
Erlosch.

(Klabund: Der Tod des Adonis,
aus: Das heiße Herz, Berlin, 1922)

Nicht versiegen wollten die Tränen noch verstummen die Schreie. Venus zerriss sich das Gewand und klagte den Göttern ihr Leid. Allein, es half nicht. Adonis war tot. Blieb tot und es gab keine Wiederkehr der schönen Stunden, die sie noch vor kurzem mit ihm geteilt hatte. Die Schönheit der Göttin drohte zu verblassen, so verzweifelt war sie über den grausamen Tod des Geliebten. Und indem immer mehr Tränen flossen, löste sich in ihr ein Gedanke. Er nahm Gestalt an und formte sich zu den Worten einer Beschwörungsformel. „Hiermit gebe ich dir, meinem geliebten Adonis, die Gestalt einer lieblichen Blume, einer, die jedes Jahr von Neuem zu erblühen beginnt. So wie dem Sterben der Natur im Frühling mit der Auferstehung der Blüten begegnet wird, so soll auch dein Andenken jedes Jahr von Neuem erblühen, Schönster der Schönen, mein Geliebter.“ Und indem sie so sprach, verwandelte sie das Blut des Adonis in eine wunderschöne Blüte, die Adonis-Rose genannt ward.

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