Natur und Ornament

Vielen Dank an das Jugendstilforum Bad Nauheim, dass ich die Abbildung von Peter Behrens als Beitragsbild nutzen darf.

Sammlung „1900 modern times“ Manfred Geisler – Jugendstilforum Bad Nauheim, CC-by SA 4.0

Zurück zu den Ursprüngen des Seins

Sieben Billionen Jahre vor meiner Geburt

War ich eine Schwertlilie

Unter meinen schimmernden Wurzeln

Drehte sich ein anderer Stern

Auf seinem dunklen Wasser

Schwamm meine blaue Riesenblüte

Arno Holz veröffentlichte dieses Gedicht in der Zeitschrift Ver Sacrum, und Koloman Moser schuf eine Illustration dazu, die selbstverständlich die Schwertlilie aufgriff – eines der häufigsten Pflanzenmotive des Jugendstils. Der Text vermittelt eine Vorstellung vom Kreislauf der Natur als einer Urgewalt, der es nachzuspüren gilt. Dies ist ein übergreifendes Ziel, das vielen Entwürfen des Jugendstils eigen war.

Frischer Wind für neue Formen

Die Natur bot die frische Anregung, die viele Kreative seinerzeit dringend suchten, fühlten sie doch einen schweren Überdruss angesichts des sich ständig selbst wiederholenden alten Formenrepertoires. Besonders in der Anfangsphase des Jugendstils sieht man die floralen Ornamente aus allen Ecken hervorsprießen. So herrschte diese Form der naturnahen Darstellung über die neue Kunst – flächenbetont und mit einer scherenschnittartigen Erscheinung.  

Literarische Zitate flankierten diese Auffassung wie zum Beispiel Oscar Wildes „Die Form ist das Geheimnis des Lebens“. Schon in den Anfängen der Arts and Crafts-Bewegung wurden die ersten theoretischen Auseinandersetzungen mit diesem Thema gepflegt: Unter dem Titel Grammar of Ornament erschien 1856 eine Schrift von Owen Jones. Auch van de Velde schrieb in Das neue Ornament vor allem über die Beziehung der Form zu den frühesten Menschheitserfahrungen mit elementaren Wiederholungen von Linien auf freien Flächen. Er betonte die psychologische Wahrnehmung von „Ornament“ und „Linie“. Diese sollten in der Lage sein, „Gefühle“ zu erzeugen.

Ernst Haeckel – Kunstformen der Natur (1904), plate 71: Stephoide

Der Biologe Erich Haeckel hatte mit seinem 1899 begonnenen Werk Kunstformen der Natur den entscheidenden Impuls für die Erneuerung der Formensprache gegeben. Bis 1903 arbeitete er an einhundert Tafeln mit Zeichnungen von Tieren und Pflanzen, die er als Anregungen für die Kunsthandwerker gedacht hatte. Gleichzeitig verfolgte er geradezu missionarisch die Idee, möglichst vielen Menschen die Schönheit und den Reichtum der Natur näherzubringen. Seine Entwürfe hatten viele Künstler verinnerlicht. „Was erregt unsere Lebensempfindungen stärker als die anmutigen Linien der langen Fühler einer Qualle, die sich im Wasser wiegt?“ (J. M. Olbrich)

Jugendstil – floral und konstruktiv

Als Ausgangspunkt für die Entwicklung eines nach diesen Aspekten „floral“ getauften Jugendstils wird vielerorts ein einziges Objekt genannt, das in seiner Wirkung nachhaltiger nicht hätte sein können. Der berühmte „Peitschenhieb“ – ein vom Münchner Künstler Hermann Obrist entworfener Wandbehang aus dem Jahr 1895, der mit der Darstellung einer Zyklame bestickt wurde. Seine Einstellung, dass es nur drei wesentliche Dinge im Schaffensprozess gebe, nämlich „Hier bin ich, da ist die Natur, dort der Gegenstand, den ich verzieren soll“, unterstützte er mit ausführlichen Studien der Botanik. Mit dem „Peitschenhieb“ hat Obrist ein Ornament entwickelt, das exemplarisch für die gesamte Formensprache des Jugendstils gesehen werden kann. Die einzigartige Schwingung, in die die Pflanze überführt wird, finden wir später in den Treppengeländern und Stoffmustern der Epoche wieder.

Künstler wie Otto Eckmann oder Hans Christiansen hatten die Pflanzenlinie in ornamentale Standards umgesetzt. Bestes Beispiel ist die Christiansen-Rose. Doch schien sich diese Richtung selbst zu überleben. Zunehmend kamen neue Kräfte an die Macht, die das Ornament weniger naturalistisch auffassen wollten. Henry van de Velde gehörte zu denjenigen, die strenge formale Grundideen vor allem für die Raumerfahrung entwickelten. Künstler wie der Wiener Josef Hoffmann gingen noch einen Schritt weiter. Sie kamen zu einer strengen Vereinfachung des Ornaments, das allerdings durchaus noch seinen Ursprung in der Naturanschauung haben durfte. Hoffmann ließ sich während einer Capri-Reise vom Anblick der weißen Häuserquadrate vor der Landschaft inspirieren und entwickelte daraus seine Schwarz-Weiß-Kontraste, die er so schätzte, weil sie niemals zuvor im Kunsthandwerk aufgetaucht waren.

Ein Zitat veranschaulicht poetisch, wie sehr die Naturform als Gleichnis für die Epoche der neuen Kunst gesehen worden ist. Es wurde in der ersten Phase des Jugendstils in einer der wichtigsten Zeitschriften der Zeit veröffentlicht:

„Was sich zum Licht gedrängt aus tiefster Seele, / Es liegt vor uns gleich einem Garten, / In dem vieltausendfältig Wunderblumen / Der Phantasie in Glanz und Schönheit strahlen – / und herrlich ist’s, in ihrer Pracht zu wandeln! / … Wie Frühlingswinde geh’n und neues Leben / In frischen Keimen auf zum Lichte dringt! / Auch uns’re Zeit will ihre Sprach sprechen / will ihrem Sehnen neue Form verleihen – / … Es stürmt und drängt hervor überall! / Gebt freie Bahn! …

J. Avaris: Den Alten und den Jungen! In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 1, 1897/98 o. S.

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