Druckgrafik und Buchkunst


Sie waren Schaustücke für stolze Sammler und wurden durch Künstlerhand zu Objekten der Begierde gemacht: die Bücher des Jugendstils. Es ist die Blütezeit der exklusiven Ausgaben, die mit neuen Erfindungen auf dem Gebiet von Satz und Schrift aufwarteten. Der deutschen Tradition des Buchdrucks verpflichtet, findet sich gerade hier zu Beginn des neuen Jahrhunderts eine Vielzahl von engagierten bibliophilen Zeitgenossen. Zahlreiche Zeitschriften steuerten Lösungen zu dieser Reform des Schrift-Bild-Verhältnisses bei. Bei ihnen waren neue gestalterische Lösungen Programm. Nicht zuletzt trugen moderne Produktionstechniken zu einer Verbreitung der künstlerischen Grafik bei, und es entwickelte sich ein neues Genre auf dem Gebiet der Editionen und Vorzugsausgaben.

Private Pressen und neue Schriften

Im Jahre 1888 hielt Emery Walker im Auftrag der Arts and Crafts Exhibition Society einen Vortrag über die Geschichte des Druckerwesens. Walker war Mitarbeiter der Typographic Etching Company und ein guter Bekannter von William Morris, der nach dem Vortrag begeistert die Idee entwickelte, gemeinsam mit Walker eine neue Schrifttype zu entwickeln. „Hier ist ein neues Handwerk zu erobern und zu perfektionieren“, war er überzeugt. „Erstens müssen die Seiten klar und leicht lesbar sein, was sie wohl kaum sein könnten, wenn nicht zweitens die Schrift wohlgeformt ist.“ Zwangsläufig entwickelte sich aus diesen Überlegungen die Gründung einer eigenen Presse, die 1891 unter dem Namen Kelmscott Press im Kelmscott Manor in Hammersmith ihre Arbeit begann. Zunächst hatte Morris Walker als Partner gewinnen wollen, doch dieser zog es vor, als unabhängiger Berater zu fungieren. So zog William Morris als alleiniger Inhaber in das Abenteuer Buchkunst. Die Beschäftigung mit diesem Thema kam seiner Vorstellung eines idealen Kunstwerks entgegen: Text und Bild, Einband und Papier – alles sollte eine ästhetische Einheit bilden. Selbstverständlich wurde auf industrielle Druckmaschinen verzichtet. Allein der Handdruck zählte. In den 8 Jahren, in denen die Kelmscott Press bestand, gab Morris insgesamt 53 Bücher heraus, darunter auch seine eigenen Schriften. William Morris verwendete viel Zeit darauf, eine Papiermühle zu finden, die ungebleichtes Papier herstellte, und wurde schließlich bei der Firma Batchelor and Son fündig, die ihm eigens handgeschöpftes Papier aus Leinen herstellte, das mit unterschiedlichen Wasserzeichen verziert wurde. Morris verwendete auch  keine beliebige Druckerfarbe, sondern ließ sich eine Spezialmischung von der Firma der Gebrüder Jaenecke aus Hannover senden, die die sattesten und intensivsten Druckfarben ihrer Zeit herstellten. Das von Morris bevorzugte Pergament, das er zum Einbinden benutzte, lieferte eine Firma aus Middlesex.

Morris, der auch in anderer Hinsicht auf die Vorbilder mittelalterlicher Handwerkskunst setzte, bewunderte den Stempelschneider, Drucker und Kalligraphen Nicolas Jenson, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts tätig gewesen war. Dieser aus Frankreich stammende Künstler hatte bei Gutenberg in Mainz gelernt und arbeitete in seinen späten Jahren in Venedig. Er entwickelte die Jenson-Antiqua, eine Schrift, von der sich alle späteren Antiqua-Schriften ableiten lassen und die wegen ihrer Klarheit berühmt war. Jenson hatte die antiken Schriften des Plinius damit gedruckt, und Morris besaß ein Exemplar dieser Ausgabe. Dies war für ihn der Ausgangspunkt zur Entwicklung eigener Schriftarten, die den jeweiligen Inhalten der Bücher angepasst wurden. Für die Erstellung einer Ausgabe der Legenda aurea (Goldene Legende), einer Sammlung von Heiligenlegenden aus dem frühen Mittelalter, schuf Morris seine Golden-Type. Die Troy-Type entstand 1892 für eine Ausgabe der mittelalterlichen Dichtung The Recuyell of the Historyes of Troy von Raoul Le Fèvre.

Das Meisterstück der Kelmscott Press war jedoch die Ausgabe der Canterbury-Tales von Geoffrey Chaucer. Hier vollendete Morris seine Auffassung vom idealen Buch, die er in der Aufteilung der Seite in ein klar lesbares Textfeld und einen ornamental oder bildhaft gestalteten Rahmen verwirklicht sah. Sein Freund Edward Burne-Jones hatte zu dem mittelalterlichen Text eine Folge von 87 Holzschnitten beigesteuert. Auch für diese Ausgabe entwickelte Morris eine eigene Schrift: die Chaucer-Schrift. Das ästhetische Konzept des Buches sah auch eine besondere Bindung vor, die Thomas James Cobden-Sanderson übernahm. Drei Monate vor seinem Tod im Oktober 1896 konnte Morris die fertige Ausgabe, die Edward Burne-Jones als „Kathedrale im Taschenformat“ bezeichnete, in Empfang nehmen. Cobden, der eigentlich Rechtsanwalt war, hatte seine Leidenschaft für die Buchkunst 1873 entdeckt und sich als Buchbinder einen Namen gemacht. 1900 gründete er direkt gegenüber von Kelmscott Manor seine Doves Press, nachdem er bereits einige Jahre zuvor die Doves Bindery ins Leben gerufen hatte. Im Gegensatz zu Morris konnte er Emery Walker überzeugen, als Kompagnon in die Firma einzusteigen. Besonders unter Walkers Einfluss entstanden in der Doves Press Buchseiten von einer auffallend zurückhaltenden Gestaltung. Die Schrifttype stand im Vordergrund, man verzichtete ganz auf Rahmenornamentik und Illustrationen. 1901 veröffentlichte Cobden seinen Essay The Ideal Book or Book Beautiful in welchem er auf die wesentlichen Aspekte eines idealen Buches hinwies: „Zusammenklang von Gehalt und Gestalt, Inhalt und Form, mit dem Dichter aus dem gleichen Erlebnisgrund das Buch schöpferisch zu einem Ganzen zu gestalten.“ Er wählte die zu veröffentlichenden Texte sorgsam aus und publizierte unter anderem auch Goethes Faust. Mit der English Bible gelang der Doves Press ihr Hauptwerk – eine zwischen 1903 und 1905 in fünf Bänden gestaltete Ausgabe der Bibel. Besonders beeindruckend war hier der Einsatz einer kontrastierenden Druckfarbe. Die roten Lettern der Anfangszeile des Buchs Genesis boten einen ungeheuren ästhetischen Reiz. Ein Streit mit Walker führte allerdings dazu, dass Cobden die Bleisätze der Doves-Type, die Walker ihm nach seinem Austritt aus dem gemeinsamen Unternehmen zur Nutzung überlassen hatte, in der Themse versenkte.

Die in England begonnene Entwicklung der Buchkunstbewegung beeinflusste vor allem deutsche Bibliophile, Dichter und Kunsthandwerker. Innerhalb weniger Jahre entstanden hier private Pressen, die mit großem Erfolg ihren gestalterischen Beitrag zu der Bewegung leisteten. 1907 hatte der hessische Großherzog Ernst Ludwig seine Ernst Ludwig Presse in Darmstadt gegründet, die von Ernst Wilhelm Kleukens geleitet wurde. Dieser hatte bereits 1901 gemeinsam mit Fritz Helmut Ehmcke und Georg Belwe in Berlin die Steglitzer Werkstatt eingerichtet – eine der ersten Adressen für Buchkünstler. Für die jungen Werkstattbesitzer schuf Otto Eckmann eigens eine Schrift, mit der man die Reklamezettel für das kleine Unternehmen öffentlichkeitswirksamer gestalten wollte. Diese Schrifttype sah aus, als wäre sie mit einem japanischen Kalligraphie-Pinsel geschrieben, und passte sich mit ihren runden organischen Formen dem Zeitgeschmack an. Sie musste bei der Schriftgießerei Klingspor zwar mit relativ großem Aufwand hergestellt werden, wurde aber äußerst erfolgreich und wird heute mit dem Schriftbild des Jugendstils schlechthin assoziiert.

1911 gründeten Ludwig Wolde und Willi Wiegand die Bremer Presse, in der sie dem englischen Vorbild der Doves Press nacheiferten. In ihrer eigenen Werkstatt widmeten sie sich dem Erscheinungsbild des schönen Buches und gestalteten bibliophile Auflagen von meist nicht mehr als 250 Stück. Der erste veröffentlichte Druck war 1913 Hugo von Hofmannsthals Die Wege und die Begegnungen. Der Dichter blieb ihnen auch als Berater verbunden und begleitete nach dem Ersten Weltkrieg die Entstehung eines Verlages aus der Bremer Presse.

1913 hatte Henry Graf Kessler in Weimar die Cranach Presse gegründet und sich zusammen mit Henry van de Velde und Elisabeth Förster-Nietzsche vor allem der Veröffentlichung der Schriften Friedrich Nietzsches gewidmet. Die Liebhaber-Ausgabe des Zarathustra war Kesslers größtes Projekt: Ein enger Freund van de Veldes, Georg Lemmen, entwarf eigens für sie eine neue Type, an deren Herstellung Kessler höchstpersönlich beteiligt war. Nachdem Kessler in den Anfangsjahren – die Idee zu dem Projekt bestand seit 1897 – an Illustrationen von Stuck gedacht hatte, schien ihm später die Gestaltung van de Veldes dem Werk Nietzsches weitaus angemessener. Van de Velde hatte eine ornamental-abstrakte Begleitung der Texte gewählt, die deren überzeitlichen Anspruch widerspiegeln sollte. Auch die Schwester des Philosophen – die eine zuvor erstellte Nietzsche-Ausgabe durch Heinrich Köselitz bereits hatte einstampfen lassen – war sehr zufrieden mit den Ansätzen. Es sollte allerdings noch bis 1908 dauern, bis die durch van de Velde gestaltete Ausgabe des Zarathustra endlich vom Insel-Verlag ins Programm genommen wurde. Sie wurde zu einem durchschlagenden kommerziellen Erfolg.

Außergewöhnlichen Erfolg als Buchillustrator hatte auch Heinrich Vogeler, den Rilke für ganz besonders befähigt hielt, Bücher zu schmücken, da „seine ruhig und geschlossen wirkende und doch innerlich so reiche Linienkunst wie keine geeignet ist, neben dem Gange edler Lettern wie ein Gesang herzugehen“. Diese Anerkennung des Dichters, die die sensible Umsetzung eines Textes in ein Bild rühmt, zeigt die besondere Bedeutung der Literaturillustration für die Buchkunstbewegung der Jahrhundertwende. Ursprünglich eher in einer untergeordneten Funktion schmückenden Beiwerks stehend, erhielten die Bilder nunmehr oftmals eine Bedeutung über den Text hinaus, so wie bei den berühmten Illustrationen Aubrey Beardsleys für den Salome-Text von Oscar Wilde. Beardsley war auch der „Hofillustrator“ der literarisch-künstlerischen Vierteljahresschrift The Yellow Book, in welcher er mit seinen kühnen Grafiken im Schwarz-Weiß-Stil Aufsehen erregte. Der Name der Zeitschrift geht auf das gelbe Buch zurück, das Wildes Held Dorian Gray immer mit sich trägt und dessen dekadenter Inhalt ihn zu verderben scheint. Ob er sich bei der Idee zu diesem Buch von Huysmans Gegen den Strich hatte anregen lassen, hat Wilde gerne im Dunkeln gelassen. Beardsley, der sich intensiv mit der japanischen Schablonentechnik beschäftigte, kreierte exzentrische Illustrationen für die Zeitschrift. Später überwarf er sich jedoch mit den Herausgebern, weil infolge des Prozesses um Oscar Wilde ein wütender Mob in der Redaktion erschien und die Entlassung Beardsleys forderte. Dieser gründete 1896 die Zeitschrift Savoy mit Leonhard Smithers, für dessen teilweise pornografische Schriften er entsprechende Illustrationen lieferte. Ganz sicher gehörten solche Grafiken eher zu jenen, die „unter dem Ladentisch“ gehandelt wurden. Anders war dies mit einer Vielzahl von Grafiken, die den Kunstzeitschriften beigegeben waren. Hier entstand eine rege Sammelleidenschaft, die auch zur Gründung spezieller Galerien führte. Die Galerie Nouveau Salon des Cent war eine der Anlaufstellen für Sammler von Werken der großen Grafikstars wie Toulouse-Lautrec, Steinlen, Mucha oder Grasset. Vor allem die neu entwickelte Technik des Steindrucks ermöglichte eine bislang in der Grafik nicht gekannte malerische Umsetzung der Motive, die nun entsprechend der vorherrschenden Mode gestaltet werden konnten. Beliebt waren dabei auch Kalender-Motive, bei denen die verschiedenen jahreszeitlichen Themen die Sammelleidenschaft anregten. Die Begeisterung für die neu entwickelte Kunst des Plakats führte zu einem regelrechten Wahn, der von Zeitgenossen auch als Affichomanie bezeichnet wurde. Ebenfalls begehrte Einzelblätter waren die Illustrationen für die Zeitschrift Jugend, die sehr schnell zu Kultobjekten wurden. Dies führte dazu, dass man sich kurz nach Erscheinen einer neuen Nummer der Zeitschrift um die Exemplare riss. Die Ablehnung an die Massenproduktion, die an anderer Stelle auf Widerstand seitens der Reformer stieß, wurde hier zum Vorteil bei der Verbreitung der Formensprache des Jugendstils. Buchkunst und Druckgrafik wurden zu einem wesentlichen Bestandteil der ästhetischen Reform, und vor allem letztere gewährleistete auch weniger Begüterten einen Zugang zur Kunst. Womit man letzten Endes wieder bei den sozialreformerischen Ideen der Anfänge angekommen war.

Beitragsbild: The Story of the Glittering Plain or the Land of Living Men. Druck: Kelmscott Press. Text von William Morris, Illustrationen von Walter Crane, 1894, Quelle: Wikipedia

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