Auftritt Belle Epoque

Die schwarzen Handschuhe waren ihr Markenzeichen. Sie unterstrichen das Image als extravagante Diseuse und sie wurden von Toulouse-Lautrec sogar zum zentralen Bildmotiv erhoben. Yvette Guilbert trat auf den Bühnen des wachsenden Amüsierbetriebes der Belle Epoque auf und war mit ihrer roten Perücke und dem grell geschminkten Gesicht der Star des Pariser Nachtlebens. Es war die Zeit, in der die Bühnendarstellung zu großer Blüte gelangte. Varietés und Cabarets schossen aus dem Boden. Schauspielerin wurde zum Modeberuf und aus der „Schmuddel-Ecke“ herausgeholt. Es gab eigenständige Persönlichkeiten, die ein unverwechselbares Image aufbauen konnten. Als Theatergöttinnen. Der Starkult kam auf.

Von Theatergöttinnen und Diseusen

Sigmund Freud hatte ein Plakat mit ihrem Konterfei in seiner Praxis hängen, und Oscar Wilde widmete ihr seine Salome: Sarah Bernhardt, eine der berühmtesten Darstellerinnen des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1844 als Henriette-Racine Bernhardt in Paris geboren und ab dem vierzehnten Lebensjahr durch die Vermittlung des adligen Geliebten ihrer Mutter an der berühmten Comédie-Française ausgebildet, wo sie 1862 in ihrer ersten Rolle als Iphigenie vor das Publikum tritt. Nach einer Amerika-Reise 1880 spielt sie in London die Kameliendame. Die Rolle, die so ganz nach dem Geschmack des Fin de Siècle romantisch-tragisch angelegt war, sollte ihre berühmteste werden. 1882 heiratete sie Jacques Damala, einen griechischen Diplomaten, der sie durch seine Spiel- und Morphiumsucht finanziell und emotional fast ruinierte.

Bernhardt in der Titelrolle der Kameliendame, Plakat von Alphonse Mucha (1896)

Diva trifft Künstler – der Aufstieg des Alphons Mucha

1894 spielte die Bernhardt in ihrem eigenen Théâtre de la Renaissance die Rolle der Gismonda, für die sie mit einem eigenen Plakat werben wollte. Den Auftrag erhielt Alfons Maria Mucha, ein tschechischer Maler, der in den Jahren zuvor als Theatermaler tätig gewesen war. Die Art und Weise, in der Mucha die Schauspielerin in einem Meer von Ornamenten zu einer Art Heiligenfigur stilisierte, ist ungewöhnlich – das Plakat ist in einem extremen Hochformat fast zwei Meter groß. Der Drucker zweifelte damals, ob er es überhaupt würde drucken können. Doch die Bernhardt war begeistert. So begeistert, dass sie den jungen Künstler mit einem Sechsjahresvertrag exklusiv an sich binden wollte. Dies war der Beginn der Ausnahmekarriere des Jugendstilkünstlers Alfons Mucha. In den folgenden Jahren gestaltete er nicht nur weitere Aufsehen erregende Plakate für die göttliche Bernhardt (vor allem die Kameliendame und das Plakat für die Rolle des Hamlet ragen hier heraus), sondern entwarf auch sämtliche Bühnendekorationen und Kostüme für die Schauspielerin. Sarah Bernhardt war zu der Zeit, als sie Mucha kennen lernte, bereits eine gefeierte Schauspielerin. Ihre Stilisierung als Theatergöttin, die mit der besonderen Ästhetik der Plakate erreicht wurde, machte sie jedoch auch über die Grenzen Frankreichs hinaus zu einer Ikone. Für Mucha bedeutete die Zusammenarbeit mit der Schauspielerin den Durchbruch als Künstler. Sein spezieller Stil verbreitete sich rasend schnell und geriet zur Mode der Belle Epoque. Sein Ruf drang bis nach Amerika. Es muss ihn wohl gereizt haben, seinen Erfolg so weit wie möglich auszukosten, und so machte er sich 1904 auf, um die Neue Welt zu erobern. Doch gelang ihm dies nur zum Teil. Vor allem die Tatsache, dass dort die Grafik nicht den gleichen Stellenwert hatte wie in Europa, stand seinem dortigen Erfolg im Weg, und so kehrte er 1910 in seine Heimat nach Prag zurück.

Tilla Durieux als Circe, Franz von Stuck, um 1912, 60 × 68 cm, Alte Nationalgalerie, Berlin

Die „Duse“ und Tilla Durieux

Sarah Bernhardt machte sich ihrerseits auf zu zahlreichen Gastspielen, während derer sie ihren außerordentlichen Ruhm als exzentrische Darstellerin mit einem skandalösen Privatleben auskostete und untermauerte. Bei einem ihrer Auftritte in Turin sah die damals noch unbekannte Eleonora Duse die große Bernhardt und beschloss, ebenso bedeutend wie diese zu werden. Sie wagte sich sogar an die Kameliendame heran und zeigte, dass sie als Gegenpol zu der exaltierten Bernhardt mit einem eher zurückgenommenen Spiel durchaus gegen die Bernhardt anspielen konnte. So kreierte sie den Typus einer Femme fragile auf der Bühne, der als Gegenentwurf zur Femme fatale entstand wie sie von der Bernhardt verkörpert wurde. Während die Duse und die Bernhardt eher den romanischen Sprachraum in ihren Bann zogen, gab es in Österreich und Deutschland durchaus vergleichbar bewunderte Darstellerinnen. Franz von Stuck war bekannt dafür, dass er Tänzerinnen und Schauspielerinnen gerne auch in ihren jeweiligen Rollen abbildete. Eines seiner eindringlichsten Porträts ist das Bildnis der Tilla Durieux als Circe. Die in Österreich als Ottilie Godeffroy geborene Schauspielerin reüssierte in München als Lulu und begeisterte die Schwabinger Gesellschaft mit ihrer intensiven Darstellung. 1903 hatte Tilla Durieux – ihren Namen hatte sie auf Drängen der Familie geändert – erste große Erfolge unter Max Reinhardt in Berlin gefeiert. Sie spielte die Salome und galt ab da als Prototyp des exotischen, katzenhaften Wesens. Die Circe spielte sie 1913 im gleichnamigen Stück Pedro Calderóns, und ein Jahr später füllte sie die Paraderolle der Lulu am Münchner Künstlertheater aus. Durieux, die ganz in die intellektuelle Avantgarde eintauchte, war von 1910 bis 1926 mit dem Kunsthändler Paul Cassirer verheiratet. Als Tilla Durieux die Scheidungspapiere unterzeichnete, nahm er sich in einem Nebenzimmer das Leben. Die tragische Beziehung zu einem der wichtigsten Kunstvermittler jener Jahre führte immerhin dazu, dass es unzählige Porträts der eigenwilligen Schauspielerin gibt. Von Auguste Renoir über Lovis Corinth bis Franz von Stuck: Sie alle waren an der Gestaltung des Mythos der Aktrice wesentlich beteiligt.

Henri Toulouse Lautrec: Yvette Guilbert Linger longer loo, 1894, Rijksmuseum

Yvette Guilbert

Neben der Welt des großen Theaters gab es um die Jahrhundertwende auch die schillernden Bühnen der Varietés. Die wörtliche Bedeutung verweist auf Abwechslung und Vielfalt der Unterhaltung, und so spannte sich der Bogen von den Hippodromen und ihren Kunstreitern über schlüpfrige Tanzvorführungen bis zu proletarisch-bodenständigem Kabarett. Die eingangs erwähnte Yvette Guilbert gehörte zu den beklatschten Stars der Bohème, die durch die Künstler des Montmartre zu doppeltem Ruhm gelangten. Yvette Guilbert trug ihre scharf geschliffenen Texte vor und führte die Zensur an der Nase herum, indem sie verbotene Worte einfach ausließ. Als 1889 das berühmte Moulin Rouge seine Pforten öffnete, war sie eine der Hauptattraktionen. Doch konnte es auch vorkommen, dass sie an einem Abend an verschiedenen Orten in Paris auftrat. Sie war eine unverwechselbare Gestalt des Pariser Nachtlebens, deren bekanntestes Chanson von „Madame Arthur“ handelte, einer Dame, die von einem reichen Galan ausgehalten wird.

H. Toulouse Lautrec: Moulin-Rouge (La Goulue) – Rijksmuseum,

Die Stars des Henri de Toulouse-Lautrec

Das legendäre Moulin Rouge, vom ehemaligen Hippodrom-Besitzer Zidler eröffnet, bot ein karnevalsähnliches Potpourri an verschiedensten Attraktionen: von Akrobaten über frivole Tänzer bis hin zu Tiershows. Hinter der Bühne, mitten unter den Künstlern, fühlte sich einer besonders wohl: Henri de Toulouse-Lautrec, der kleine gebrechliche Spross aus altem französischem Adel. Still in seiner beobachtenden Position verharrend, hat er sie alle gezeichnet. Zu seinen besonderen Lieblingen zählte neben der Guilbert auch die Tänzerin „La Goulue“, die unglaubliche Verrenkungen auf der Bühne vollführte und eine äußerst erotisch-frivole Version des Can-Can tanzte: den Chahut. Oder die tragische Jane Avril, die ihre Kindheit im Irrenhaus verbringen musste und jetzt die Belle Epoque mit ihrem ausdrucksstarken Bühnenauftritt verzauberte.

Toulouse-Lautrec war aus seiner Heimat Albi im Süden des Landes nach Paris gekommen und hatte sich als Autodidakt vor allem mit der neuen Technik der Lithographie auseinandergesetzt. Als Mitarbeiter der Revue Blanche hatte er Zugang zu den Caf’ Conc’, den Konzerten in Bars und Kaffeehäusern, sowie zu den Bühnen von Moulin Rouge und Chat Noir. 1885 machte er die Bekanntschaft Aristide Bruants, der gerade seinen Club Le Mirliton eröffnete. Bruant hatte eine ausgeprägt proletarische Vergangenheit, die er nun als Sänger auf die Bühne brachte. Speziell für die Künstler des Montmartre schien er sein Image als Arbeitersohn zu pflegen. Sobald man damals im Le Mirliton durch die Tür trat, wurde man programmgemäß übelst beschimpft. Henri de Toulouse-Lautrec schuf ein Bild von Bruant, das den rebellischen Sänger mit dem für ihn typischen roten Schal in bohèmehafter Pose darstellt. Bevor er sein eigenes Lokal eröffnete, hatte Bruant einen Vertrag mit einem der ältesten und beliebtesten Cabarets der Stadt: dem Chat Noir.

Théophile-Alexandre SteinlenLe Chat noir, Plakat 1896

Chat Noir

Ursprünglich gab es auf dem Montmartre zu Zeiten, als dieser noch ländlich geprägt in der Vorstadt lag, ein einziges Ausflugslokal, das auch schon die Impressionisten bekannt gemacht hatten: die Moulin de la Galette. Hier fanden einmal in der Woche so genannte Bürgerbälle statt, die die einzige Attraktion weit und breit waren. 1878 hatte der Poet Emile Goudeau die Idee, auf dem Montmartre ein erstes Cabaret zu eröffnen, Le Sherry-Cobbler. Dieses Lokal, das die Funktion eines Künstlertreffs hatte, lief hervorragend und lockte den Sohn eines Likörfabrikanten auf den Plan. Rodolphe Salis hatte sich mit mäßigem Erfolg als Karikaturist im Quartier Latin durchgeschlagen, bis ihn sein Vater nötigte, etwas zu finden, das seine Passion des künstlerischen Daseins mit der väterlichen Profession des Schnapsbrennens vereinen konnte. Und so entstand das erste wahre Cabaret. Salis brachte den ganz großen Erfolg für die Kleinkunstbühne und schuf den Ort, an dem sich die Intellektuellen der Pariser Avantgarde mit der lebensfrohen Halbwelt trafen: das Chat Noir. Das Lokal fiel besonders dadurch auf, dass hier nicht nur Tanz und Gesang auf dem Programm standen, sondern auch dem gesprochenen Wort ein großer Raum zugewiesen wurde. Dies und die Tatsache, dass Salis die Hauswände von Paris großzügig mit attraktiven Plakaten schmückte, die für das Chat Noir warben, machte den Erfolg des Etablissements aus, das wie kein anderes die spezielle Atmosphäre der Belle Epoque widerspiegelte. Mit mystischem Wesen sitzt die bewegungslose Katze, die an die Geschichten von Edgar Allan Poe erinnert, auf dem Poster von Steinlen. Sie steht für die nächtliche Welt des Montmartre, die ungezügelt und frei ihre Vergnügungen bereithält. Bevor Salis 1897 starb, bestimmte er folgenden Spruch für seinen Grabstein: „Gott schuf die Welt, Napoleon die Ehrenlegion und ich Montmartre.“

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