Oishii – japanische Esskultur im Linden-Museum

Oishii

„Sage mir, was du isst, und ich sage dir, wer du bist.“ So drückte es  Jean Anthelme Brillat-Savarin  in seiner Physiologie des Geschmacks aus. Ich bin gerne auf den Spuren der Esskultur aus alten Zeiten oder fernen Ländern unterwegs. Nirgendwo verbinden sich Alltagsgewohnheiten und kulturelle Eigenheiten zu einem so spannenden Gesamtbild. Eines, das alle Sinne anspricht und einen auf eine ganz besondere Reise mitnimmt. Diese durften wir im Rahmen der Blogger-Reise zum #kulturherbststuttgart im Linden-Museum antreten. Bevor ich von der wunderbaren Ausstellung „Oishii – Essen in Japan“ berichte, möchte ich das Museum zu der gelungenen Online-Kommunikation beglückwünschen. Nicht nur, dass wir im Vorfeld des Besuches schon sympathisch über Twitter begrüßt wurden. Auch mit der benutzerfreundlichen Website hat das Museum mich sehr überzeugt! Doch nun zur Ausstellung.

Onishii heißt wohlschmeckend – mit diesem positiven Leitbild bin ich in die Kultur des japanischen Essens eingetaucht. Und an was denkt man so, wenn es um das Essen in Japan geht? Sushi  natürlich. Vielleicht auch an den berüchtigten Kugelfisch (habe ich natürlich noch nie gegessen) oder die Nudelsuppe (kenne ich leider nur in der Instant-Version – bääh). Das Wagyu-Rind (würde ich gerne mal probieren). Die von Uta Werlich kuratierte Ausstellung (vielen Dank noch einmal für die spannende Führung) nähert sich in verschiedenen Themenbereichen der Esskultur Japans, die im Katalog (tolles Layout!) wie folgt beschrieben werden:  Reis. Mehr als nur ein Nahrungsmittel. Fische, Meeresfrüchte, Seegemüse. Nahrung aus Fluss und Meer. Nudeln. Ein Teigfaden entzückt die Massen. Von der Küche auf den Tisch. Zubereitung und Verzehr von Speisen. Picknick und Sake. Vergnügen unter Blüten. Tee. Ein wundersames Elexier. Wahrscheinlich hätte man zu jedem einzelnen Thema eine eigene Ausstellung machen können. Aber so erhält man im Linden-Museum einen umfassenden Einblick in die Entwicklung der Esskultur in Japan.

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Ich war noch nie in Japan, aber ich habe sofort zwei Aspekte japanischer Kultur im Kopf, die ein schönes Gegensatzpaar ergeben. Da ist einerseits eine Liebe zum Detail, eine Ästhetik der einfachen Dinge und die Wertschätzung von besonderen Materialien. Auf der anderen Seite gibt es aber auch Schrilles, Witziges bis Skurriles. Das findet sich im Alltag aber auch in der japanischen Kunstgeschichte. Diese beiden Seiten begegneten mir an vielen Stellen in der Ausstellung und ich finde das sehr reizvoll. Nur Schönheit wird langweilig. Alles nur schräg und witzig zu sehen, wirkt schnell abgeschmackt.

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Picknickset mit Löwen- und Päoniendekor. Holz mit schwarzem Lack und hirame, nashiji, goldenem und silbernem maki-e, Griff und Beschläge aus Kupferlegierung; Sake-Flaschen aus Zinn H 29,5 cm, L 33,0 cm, B 16,5 cm, Japan, späte Edo-Zeit (1603 – 1868), Inv.-Nr. OA 21.826, Slg. Trumpf, Stiftung 1966; Copyright: Linden-Museum Stuttgart, Foto: Anatol Dreyer

Ist dieses Picknick-Set nicht zum Niederknien schön. Und träume mich gerade in eine zauberhafte Kirschblüten-Landschaft hinein. Dort sitzt man dann in Grüppchen und zelebriert die mitgebrachten Mahlzeiten. Allein beim Gedanken daran bin ich tiefenentspannt. Seit dem 17. Jahrhundert sind die Picknicks zur Kirschblüte unter dem Begriff Hanami (Blütenschau) in der Bevölkerung beliebt. Die Betrachtung der Natur wurde gerne mit allerlei Unterhaltung garniert. Tänzer und Musikanten traten auf. Es konnte auch schon mal vorkommen, dass man sich zu allerlei Albernheiten hinreissen ließ. Aber das Essen wurde in der bekannten Art serviert, alles frisch und die einzelnen Bestandteile schön voneinander getrennt. Sake gehörte natürlich ebenfalls dazu – siehe: Albernheiten!

Von solchen mobilen Essens-Behältnissen führt der Bogen zu den Bento-Boxen. Das sind Stapelboxen, die typisch für die japanische Esskultur sind. Es gibt sie schon seit dem 5. Jahrhundert. Mit dem Aufkommen der Picknicks wurden sie beliebter. Ich habe mich da noch ein bisschen über den Katalog hinaus eingelesen. Schon spannend, welche Verwendungen es in der Bento-Kultur noch so gibt. Das Makunouchi-Bento beispielsweise ist für Schauspieler gedacht, die das zwischen den Szenen des Stücks zu sich nehmen sollten. (Hinter-dem-Vorhang-Bento). Für alle möglichen festlichen Anlässe gibt es unterschiedliche Bentos. Mein Favorit sind aber die Ekiben. Das sind Bahnhofstbentos, die es schon seit dem späten 19. Jahrhundert gibt. Echt jetzt: Eine eigene Bento-Box für jeden Bahnhof in Japan. Ich möchte am liebsten sofort losreisen und mit dem Sammeln anfangen. In jeder Box sind typische Lebensmittel für die Region enthalten, in der sich der Bahnhof befindet. Beweisfoto anbei!

ekiben bento Präsentation in der Ausstellung Oishii im Linden-Museum

Wenn ich so eine Sorgfalt für die Lebensmittel sehe, die sich in diesen liebevollen Verpackungen manifestiert, dann wundert es mich nicht, dass die japanische Esskultur mittlerweile als immaterielles Weltkulturerbe eingetragen ist. Allerdings ist es wohl durchaus auch so, dass sich heute der Großteil der Japaner nicht mehr die Zeit nimmt für die aufwändigen Vorbereitungen und Wertschätzungen. Wie auch bei uns hat das Fast Food seine Spuren hinterlassen. Reis zum Beispiel war in der Tradition nicht einfach nur Reis. (Es gibt in Japan ca. 400 verschiedene Reissorten), sondern er wurde als heiliges Lebensmittel verehrt. Das gerät mehr und mehr aus dem Blick und Gottheiten sind schon lange nicht mehr anwesend bei Tisch.

Ein Objekt, das in der Ausstellung sofort meinen Blick gefangen hielt, ist ein besonderer Mochi-Kuchen. Er zeigt, wie es früher üblich war, die Lebensmittel auch in eine Art Kultgegenstand zu verpacken, der – in diesem Falle – als Sitz der Jahresgottheit in einer Art Reiskuchen wohnt. Mochi ist gestampfter Reisbrei, der auch getrocknet weiterverarbeitet wird. Gerne in Süßigkeiten, die dann wiederum in wunschön verzierten Lackschachteln dargeboten werden. Aber zurück zum Kagami-Mochi, dem verzierten Reiskuchen.

Neujahrsdekoration in Form von Kagami-Mochi aus der Sammlung des Linden-Museums Stuttgart
Neuhjahrsdekoration in Form von kagami mochi Textil, Papier, Holz. Japan 2015 Linden-Museum Stuttgart

Die Reiskuchen sind in Tücher eingeschlagen und übereinandergestapelt symbolisieren sie das Kommen und Gehen der Jahre. Oben auf einem Spieß sind Kakipflaumen aufgereiht, die für den Fortbestand der Familie stehen. Eine Bitterorange als Mittelpunkt. Aber das Motiv des Hummers hat mich besonders interessiert. Seht ihr, dass er einen Bart und einen gekrümmten Rücken hat. Er symbolisiert das Alter! Es ist ein Fest, dieses Objekt zu betrachten!

Im Katalog lese ich, dass es eine Enzyklopädie des Essens im Kaiserreich gab, die im 17. Jahrhundert erstellt wurde. Ich kann mir vorstellen, dass diese Schrift viele Darstellungen von Situationen der Essenszubereitung oder des Genießens beeinflusst hat. Seit dem 3. Jahrhundert gibt es zudem Schriften, in denen der Verzicht auf Fleisch beschrieben wird, der bis ins 19. Jahrhundert hinein die Esskultur Japans bestimmt. (Ab 1873 erlaubte der Kaiser dann den Verzehr von Rindfleisch.) Wie wir das ja auch in der westlichen Welt kennen, galt der Fleischverzicht nicht für Meerestiere. Diese Tatsache und die unglaublich reichen Fischgründe vor Japan führten dazu, dass sich eine Kultur der Zubereitung und des Genusses von Fisch entwickelte, die bis heute Maßstäbe setzt. Ende des 17. Jahrhunderts entstand aus der Idee, Fisch haltbarer zu machen, das Sushi. Denn der in gesalzenem Essig eingweichte Reis hatte die Eigenschaft, die Fischstücke zu konservieren. Ab 1820 eröffneten zuerst in Tokyo Geschäfte, in denen das sogenannte nigiri zushi (handgeformtes Sushi) angeboten wurde (auch eine interessante Geschichte, wie sich die Restaurant-Kultur in Japan entwickelt hat). Ich habe übrigens etwas mit dem Flusskobold kappa gemeinsam: ich esse für mein Leben gerne Gurken 🙂 Und mag auch die kappa maki am allerliebsten!

In der Ausstellung spielt der Fischfang eine große Rolle. Neben vielen Fanggeräten und Darreichungsformen von Fischgerichten, gibt es so interessante Phänomene wie die japanischen Meeresfrauen, die halbnackt unter widrigen Umständen nach Meereschnecken, Seetang und Algen tauchen.  Mich hat sehr die Inszenierung des Ausstellungsschwerpunktes angezogen. Wie eine Art Bühnenbild sieht man hier das Meer vor Hokusais berühmter Welle, bevor man dann die kleinen Objekte in Vitrinen betrachten kann. Überhaupt überzeugt mich diese Art Parcours, durch den die Besucher gelenkt werden. Man schaut doch anders, wenn man in besondere Räume eintaucht und nicht ein Objekt neben dem anderen an den Wänden aufgereiht wird.

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Aber zum Schluss darf ich euch mein Lieblingsobjekt nicht vorenthalten. Es ist auch ein Beispiel für den oben erwähnten skurrilen Humor, der mich in der japanischen Kunst so überrascht. Das Lieblingsobjekt ist winzig (und sieht jetzt in der Vergrößerung so witzig aus), besteht aus Elfenbein und zeigt einen Oktopus, der mit einem genervten Ausdruck in einem kleinen Fangkorb feststeckt.

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Netsuke aus Elfenbein, Pupillen aus Horn, Japan, 2. Hälfte 19. Jh., Linden-Museum Stuttgart, Slg. Trumpf, Stiftung 1966, Foto: A. Dreyer, Inv.-Nr. OA 19.234 (TN 492)

Es ist eine Netsuke. Womit eine Art Gegengewicht für die Befestigung von Gefässen oder Ähnlichem am Gürtel eines Kimonos bezeichnet wird. Es gibt sie in zahlreichen Formen und jede hat wieder einen eigenen Namen. Auch so ein kleines Detail, über das man wahrscheinlich dicke Bücher schreiben könnte. Und so geht das Entdecken von lauter spannenden Geschichten in der Ausstellung weiter. Es gibt dort auch eine nette interaktive Ecke, in der man zum Beispiel an einem Tablet sein virtuelles Sushi herstellen kann. Und am Ende der Ausstellung existiert eine Wand, auf der Bilder von Besuchern präsentiert werden, die sich selbst beim Essen einer japanischen Speise fotografiert haben. Ich mag solche partizipativen Aktionen ja sehr. Auch das Begleitprogramm ist super. Da die Ausstellung noch bis April läuft, gibt es viele Gelegenheiten, an tollen Aktionstagen oder zum Beispiel dem Dine Around (mein persönlicher Favorit) teilzunehmen. begleitprogramm_oishii_-_essen_in_japan

Das war ein richtig schöner Besuch im Lindenmuseum und das anschließende Get together mit Tee und Sake fand ich unglaublich sympathisch und nett. Vielen Dank Martin Otto-Hörbrand für den tollen Empfang von uns Bloggerinnen. Ich freue mich auf ein Wiedersehen und bis dahin lesen wir uns auf Twitter.

 

Der Beitrag entstand im Rahmen der Bloggerreise #kulturherbststuttgart, die von der Stuttgart-Marketing GmbH und ausgewählten Partnern initiiert und finanziert wurde.

 

 

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