unease with the ordinary


Wie einst Kurt Schwitters seinen Merzbau, so hat auch Gregor Schneider seine unmittelbare räumliche Umgebung als Ausgangspunkt für ein stetig wachsendes Kunstwerk genommen. Er baute bereits als Jugendlicher das Haus seines Vaters immer weiter aus und um und gelangte so zum berühmten „haus ur“ das die Kunstgeschichte der späten neunziger Jahre um einen ganz neuen Impuls bereicherte. Provokant stellte er beklemmende Räume vor, thematisierte das Unbewußte und die Dinge, die nicht sichtbar sind. Oft als „Psycho-Haus“ missverstanden war dieses Kunstwerk vor allem in der Oszillation zwischen Skulptur und Rauminstallation interessant. Dass er zur Biennale 2001 eingeladen wurde, den deutschen Pavillon zu bespielen und dafür auch noch den goldenen Löwen erhielt, zeigt, wie man dieses verstörende Kunstwerk für einen wichtigen Meilenstein deutscher Kunstgeschichte hält. Der so gefeierte Schneider allerdings ruhte sich nicht auf seinen Lorbeeren aus, sondern provozierte mit seiner Idee eines schwarzen Kubus, den er 2005 zur Biennale auf dem Markusplatz errichten wollte. Assoziationen an das schwarze Quadrat von Malewitsch, aber auch an die Kabaa, die heilige Gedenkstätte in Mekka, waren eindeutig angelegt. Aus Angst vor Anschlägen wurde dieses Projekt nicht realisiert. Jetzt widmet die Düsseldorfer K21 dem außergewöhnlichen Künstler eine Ausstellung
haus_ur2.jpg
.


Die Kunstsammlung präsentiert einen neuen, eigens für die Ausstellung konzipierten Werkkomplex des Künstlers. Eine Abfolge von gebauten und begehbaren Räumen ist in die bestehende Architektur des Museums eingesetzt: Lange Korridore und enge Zellen, die gleichermaßen an Intensivstationen und an Isolationshaft erinnern und als Schutz und Gefängnis, als Orte der übersteigerten Zuwendung oder auch der sozialen und sensorischen Deprivation verstanden werden können. Einzelne Räume wecken Vorstellungen von Gefängniszellen, von Verhörräumen, von Wartezonen oder auch von Orten des überwachten Freigangs. Die künstlerische Strategie der Verdoppelung, welche Gregor Schneiders Œuvre durchzieht, findet hier ihre Anwendung. Ausgangspunkt der Ausstellung sind im Internet kursierende Bilder des US-amerikanischen Hochsicherheitsgefängnisses Camp V in Guantánamo Bay auf Kuba, das sich doch gerade als „Niemandsland“ den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen versucht. Auch der Titel der Ausstellung nimmt diese Ebene des Heimlichen und Verborgenen auf. „Weiße Folter“, auch „Saubere Folter“ genannt, bezeichnet Foltermethoden, die darauf abzielen, die Psyche des Menschen zu zerstören, keine äußerlich sichtbaren Spuren zu hinterlassen und damit nur schwer nachweisbar sind.
Durch ein Fehlen von Spuren menschlicher Lebensäußerungen und von narrativen Details widersetzen sich die Räume Schneiders trotz ihres Rückgriffs auf eine real existierende Vorlage einer schnellen, offensichtlichen Ein- und Zuordnung. Sie scheinen uns auf befremdliche Weise vertraut und bekannt, ohne dass wir sie an eine konkrete Situation oder an einen bestimmten Ort rückkoppeln könnten. In ihrer abstrakt-kristallinen Reinheit und ihrer dramaturgischen Sequenz entwickeln sie eine gleichsam zwingende Dimension, deren Sog man sich nur schwer zu entziehen vermag. Ein Wechselspiel von Vermutungen, Ahnungen und unbewussten Erinnerungen beginnt und lässt die Grenze von Realität und Imagination, von Vertrautem und Unbekanntem verschwimmen. Das Wechselspiel von Licht und Dunkelheit, von Wärme und Kälte, Bewegung und Stillstand, Nähe und Distanz sowie das bewusste Einsetzen oder der Entzug von Sinnesreizen halten neue und ungewohnte Erfahrungen bereit. Sich darauf einzulassen bedeutet, die herkömmliche Selbst- und Raumwahrnehmung über Bord zu werfen, und damit auch die eigene Befindlichkeit und Verortung in der Welt zu hinterfragen. Auf diese Weise vermag es die Ausstellung, existentielle Fragen nach der conditio humana in der heutigen Welt zu stellen.
schneider_wei%C3%9Fe%20folter.jpg
Öffnungszeiten:
dienstags bis freitags 10.00 – 18.00 Uhr
samstags, sonntags und feiertags 11.00 – 18.00 Uhr
montags geschlossen
jeden 1. Mittwoch im Monat 10.00 – 22.00 Uhr
K21 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen im Ständehaus
Ständehausstraße 1
40217 Düsseldorf
Tel.(0211) 8381-630
Fax(0211) 8381-601

Share

Kommentar verfassen