Provokation der guten alten Art


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Jonathan Meese sieht aus wie ein RAF-Sympathisant und trägt ausschließlich adidas-Jacken der reinsten Poyester-Art. Er wird als jüngster „Großkünstler“ gehandelt, womit gemeint ist, dass man staunen kann ob der grandiosen Erfolge, die er mit Einzelausstellungen und Ankäufen für große Sammlungen verzeichnet. Gerade mal Mitte dreißig ist der Shooting Star und vor allem im Ausland hält man große Stücke auf den neo-romantischen Provokateur, der vor allem mit deutschtümelnden Klischees aufwartet. Wenn man einmal den ganzen Hype um seine Person beiseite wischt und sich auch nicht davon irritieren lässt, was er so offiziell sagt und tut, dann finden sich einige der interessantesten Ansätze der Bewertung „typisch“ deutscher Kunst bei ihm.


Jonathan Meese ist Maler. Jonathan Meese ist Bildhauer. Er entwirft raumgreifende Installationen und tritt in irritierenden Performances auf, in denen er sich oftmals selbst zum Protagonisten seiner Ideenwelten stilisiert. Damit steht er in der schnurgeraden Tradition des wohl wichtigsten deutschen Künstlers der Moderne: Joseph Beuys. Dessen Erfindungen im Dienste der „Erweiterung des Kunstbegriffs“ kann man gar nicht oft genug loben. Ohne Beuys gäbe es nichts Neues in der Kunst. Die Möglichkeit, mittels künstlerischer Inszenierung auch die gesellschaftlichen Grundlagen des Seins durchleuchten zu können, hat bei Beuys zu einem Crossover zwischen Politik, Philosophie, Anthropologie, Literatur und Kunstgeschichte geführt. Nun sehen wir den geistigen Enkel Beuys‘ 30 Jahre danach auf ähnliche Weise agieren- Allderdings gestaltet er nach den Bedingungen seiner Generation. Auffällig bei Meese ist die Verarbeitung von Kultfilmen in seinen Inszenierungen. Kultfiguren liefern die neuen Leitbilder wie zum Beispiel der von Sean Connery verkörperte „Zardoz“ in einem in seiner kulturgeschichtlichen Wirkung gerne verkannten Opus des Regisseurs John Boormann aus dem Jahre 1974.
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Wie einst Andy Warhol bringt Meese auch mit gezielt gesetzten Sprüchen die kleinen Spitzen der Provokation, die man erst einmal von den Vorurteilen („Wie ist der denn drauf!) freischaufeln muss und niemals so für sich nehmen darf. Ernst allerdings sollte man sie schon nehmen. Sie auf ihren Gehalt hin prüfen und darüber einen Diskurs beginnen.
»Kommunikation ist Geschwätz. Befehle sind gut. Befehle an sich selbst.«
»Ein Begriff wie Kampf, gepaart mit Demut, ergibt immer Liebe. Immer. Und Liebe, gepaart mit Hermetik, erzeugt immer Revolution. Und Revolution, gepaart mit Neutralität, ergibt immer das Paradies.

„Jeden Tag wache ich auf und frage mich, warum bin ich so ein angepasstes Schwein.“

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Wie kleine böse Jungen! Meese mit Kollegen Daniel Richter
Mit vielen Posen und auch Begriffen kokettiert Meese mit den Tabuzonen der deutschen Vergangenheit. Das verbindet den jüngeren Aufsteiger der Szene mit einem, der schon vor geraumer Zeit Deutschland verlassen hat, weil er dort nicht verstanden wurde. Anselm Kiefer stellte sich in den siebziger Jahren mit Hitlergruß an touristischen Ferienzielen der Vergangenheit. Er wollte ausloten, in welchem Maße er selbst mit dem historischen Erbe belastet oder belastbar sei. Auch die Verwendung von Begriffen wie z.B. Helden, lotet er diese Bedingungen aus. Kiefer, Jahrgang 1945, war nie ein Schüler von Beuys, fühlte sich diesem in seinem Grundverständnis von den Aufgaben der Kunst her sehr verbunden.
Auch Meese kennt solche Posen, inszeniert sich selbst als Bösewicht und verwendet Eiserne Kreuze und ähnliche Versatzstücke deutscher Geschichte in seinen Installationen, die vor allem auch die Kunstszene in London und New York fasziniert. Ganz auffällig ist bei Meese auch die Bedeutung von Sprache für seine Kunst. Nicht nur, dass er selber nahezu expressionistische Lyrik verfasst, nein, auch er arbeitet Schrift in seine Kunst, gibt den Werken durch ausführliche Bildtitel noch einen weiteren Bedeutungsaspekt. Vor allem diese fast schon literarische Bildtitel-Findungen verbinden ihn mit einem weiteren deutschen Künstler der gerade in der letzten Zeit mit großem Beifall auch im Ausland rezipiert worden ist: Martin Kippenberger. Und jetzt haben wir eine recht schöne und glatte Linie neuerer deutscher Kunstgeschichte, die mit Jonathan Meese einen neuerlichen Höhepunkt liefert. Vor allem in der Sicht von außen wird einem deutlich gemacht, was an übereinstimmenden Merkmalen deutscher Kunst oft erst Jahre später zu entdecken ist. Die expressive Art, das Provokante, gepaart mit einer gewissen Heldenidealisierung wird zum Wiedererkennungsmerkmal.
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Fast wie ein moderner Dr. Caligari des Punk-Rock – Meese in einer seiner Installationen
Bestimmt sehr interessant ist ein Auftritt des Künstler innerhalb einer Veranstaltung, die über Sammler zeitgenössischer Kunst diskutieren will. Meese wird dort einen mit Sicherheit irritierenden Vortrag halten, der Anspielungen auf den Klassiker des Horrorfilms vermuten lässt:
Mittwoch, 31. Januar 2007, 19 Uhr (und 1. Februar, 10 Uhr) Jonathan Meese, Berlin/Hamburg, Künstler „DR. PHIBESAINT JUST’S THEATER DES SAALGRAUENS (PROPAGANDICK UND PROPAGANDOOF auf großer Fahrt IN die WEHRHERMETIK) WIE? WANN? WARUM?“
Informationen zum Konzept der Veranstaltung gibt es bei Michael Diers, Tel. 040-428989-339
Die Veranstaltung findet statt: Hochschule für bildende Künste Hamburg, Lerchenfeld 2, 22081 Hamburg, Kleiner Hörsaal

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Eine Antwort zu “Provokation der guten alten Art”

  1. Meese scheint als Eklektizist gerne mit Filmanspielungen um sich zu werfen, inklusive der Kunst der Täuschung, dass die Dinge nur vordergründig so sind, wie sie sind, was ihn tatsächlich als modernen Dr. Caligari erscheinen lässt. Die Fingerknöchel-Tätowierungen sind übrigens ein Hinweis auf einen weiteren großen Täuscher der Filmgeschichte, nämlich auf den Wanderprediger und Psychopathen Harry Powell (Robert Mitchum) in „Die Nacht des Jägers“, ein expressionistischer „American Gothic“-Thriller von Charles Laughton aus dem Jahr 1955.

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