Liebesgeschichten

Oft sind literarische Texte die Grundlage für Darstellungen berühmter Liebespaare in der Kunst. Besonders der Symbolismus kennt reichlich ausgeschmückte Bildmotive eines Themas, das die Emotionen des Betrachters hervorkitzelt. Hervorstechend sind selbstverständlich tragisch endende Geschichten und der Archetypus hierfür ist das Shakespeare Drama „Romeo und Julia“. Johann Heinrich Füssli wählte 1809 den tragischen Schluss für sein Bild, das ganz nach symbolistischem Gusto ein psychologisch motiviertes Gemälde ist. Füssli ist somit schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein Vorläufer der symbolistischen wenn nicht gar surrealistischen Kunst, die tief in die Schichten der Seele hinabsteigt.
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Romeo. (tritt zu Julien.)
Entweihet meine Hand verwegen dich,
O, Heil’genbild, so will ich’s lieblich büßen.
Zwei Pilger, neigen meine Lippen sich,
Den herben Druck im Kusse zu versüßen.
Julia.
Nein, Pilger, lege nichts der Hand zu Schulden
Für ihren sittsam-andachtvollen Gruß.
Der Heil’gen Rechte darf Berührung dulden,
Und Hand in Hand ist frommer Waller Kuß.
Romeo.
Hat nicht der Heil’ge Lippen wie die Waller?
Julia.
Ja, doch Gebet ist die Bestimmung aller.
Romeo.
O, so vergönne, teure Heil’ge, nun,
Daß auch die Lippen wie die Hände thun.
Voll Inbrunst beten sie zu dir: erhöre,
Daß Glaube nicht sich in Verzweiflung kehre.
Julia.
Du weißt, ein Heil’ger pflegt sich nicht zu regen,
Auch wenn er eine Bitte zugesteht.
Romeo.
So reg dich, Holde, nicht, wie Heil’ge pflegen,
Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht.
(Er küßt sie.)
Nun hat dein Mund ihn aller Sünd‘ entbunden.
Julia.
So hat mein Mund zum Lohn sie für die Gunst?
Romeo.
Zum Lohn die Sünd‘? O Vorwurf, süß erfunden!
Gebt sie zurück!
(Küßt sie wieder.)
Julia.
Ihr küßt recht nach der Kunst.
Wärterin.
Mama will euch ein Wörtchen sagen, Fräulein.
Romeo.
Wer ist des Fräuleins Mutter?
Wärterin.
Ei nun, Junker,
Das ist die gnäd’ge Frau vom Hause hier,
Gar eine wackre Frau, und klug und ehrsam.
Die Tochter, die ihr spracht, hab‘ ich gesäugt.
Ich sag‘ euch, wer sie habhaft werden kann
Ist wohl gebettet.
Romeo.
Sie eine Capulet? O, teurer Preis! mein Leben
Ist meinem Feind als Schuld dahingegeben.
Benvolio.
Fort! laßt uns gehn; die Lust ist bald dahin.
Romeo.
Ach, leider wohl! Das ängstet meinen Sinn.
Capulet.
Nein, liebe Herrn, denkt noch ans Weggehn nicht!
Ein kleines, schlichtes Mahl ist schon bereitet. –
Muß es denn sein? – Nun wohl, ich dank‘ euch allen;
Ich dank‘ euch, edle Herren: Gute Nacht!
Mehr Fackeln her! – Kommt nun, bringt mich zu Bett.
(Alle ab, außer Julia und die Wärterin.)
Julia.
Komm zu mir, Amme: wer ist dort der Herr?
Wärterin.
Tiberios, des alten, Sohn und Erbe.
Julia.
Wer ist’s, der eben aus der Türe geht?
Wärterin.
Das, denk‘ ich, ist der junge Marcellin.
Julia.
Wer folgt ihm da, der gar nicht tanzen wollte?
Wärterin.
Ich weiß nicht.
Julia.
Geh, frage, wie er heißt! – Ist er vermählt,
So ist das Grab zum Brautbett mir erwählt.
Wärterin. (kommt zurück.)
Sein Nam‘ ist Romeo, ein Montague
Und eures großen Feindes ein’ger Sohn.
Julia.
So ein’ge Lieb‘ aus großem Haß entbrannt!
Ich sah zu früh, den ich zu spät erkannt.
O, Wunderwerk: ich fühle mich getrieben,
Den ärgsten Feind aufs zärtlichste zu lieben.
Wärterin.
Wie so? wie so?
Julia.
Es ist ein Reim, den ich von einem Tänzer
Soeben lernte.
(Man ruft drinnen: „Julia!“)
Wärterin.
Gleich! wir kommen ja. Kommt, laßt uns gehn: kein Fremder ist mehr da.
(Ab.)
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F.M. Brown, Romeo und Julia
Die Personifizierung der Liebe zeigt sich in der antiken Geschichte des Paares Amor und Psyche, das vom klassizistischen Bildhauer Canova in schmelzendem Marmor wiedergegeben wird.
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Psyche wird durch einen Kuss des Armor wiederbelebt, 1793
Ein Ausschnitt aus dem Roman von Apuleius Der goldene Esel
(darin Amor und Psyche)
(...) Doch wie die hochgehaltene Lampe das Geheimnis Lagers erhellte, sah sie das zahmste und süßeste von allen Ungeheuern unter dem Getier, ihn selbst, Cupido, den schönen Gott, so schön gelagert, bei dessen Anblick auch das Licht der Lampe vor Entzücken heller strahlte und das Messer sich ob seiner frevlen Schneide entsetzte. Psyche aber sank , von dem Anblick verwirrt und ihrer Sinne nicht mehr mächtig, totenblaß, hilflos und zitternd auf die Knie und suchte den Stahl zu bergen – in der eigenen Brust! Und wäre nicht der Stahl aus Abscheu vor einer solchen Untat ihren verwegenen Händen entglitten und zu Boden gefallen, es wäre um sie geschehen gewesen. Und wie sie in ihrer Ohnmacht und Hilflosigkeit immer wieder auf das schöne, das göttliche Antlitz sah, kam sie wieder zur Besinnung. Sie sah des herrlichen Hauptes liebliches, ambrosiaduftendes Haar, das sich über den schneeigen Nacken und die purpurnen Wangen hinabringelte, ein reizendes Lockengewirr, ein Teil vorn, der andere hinten herabfallend, vor dessen blitzendem Glanz der Lampe Licht nur ein Flackern war. An den Schultern des geflügelten Gottes schimmerten in weißem Schmelz die tauigen Schwingen, deren Flaum, wenngleich die Flügel auch ruhten, lind und leise säuselnd und sich kräuselnd spielte und bebte. Einen so reinen, so schönen Leib geboren zu haben brauchte Venus sich wahrlich nicht zu schämen.
Vor dem Bett lagen Bogen und Köcher und die Pfeile, des großen Gottes beseligende Waffen.
Psyche konnte in ihrem unersättlichen Verlangen und in ihrer großen Neugier das Werkzeug ihres Gatten gar nicht genug bewundern und betasten und sich daran satt sehen und zog schließlich einen Pfeil aus dem Köcher und stach sich, als sie mit der immer noch zitternden Hand seine Spitze prüfen wollte, bei einer zu hastigen Bewegung in den Daumen, so daß ein paar Tropfen ihres rosigen Blutes über ihre Haut rannen. So geschah es, daß Psyche sich ahnungslos in den Liebesgot verliebte. Mehr und mehr entbrannte sie in Leidenschaft zum Gott der Leidenschaft, beugte sich in brennendem Verlangen über ihn und bedeckte ihn mit innigen, minnigen Küssen und bangte nur um seinen tiefen Schlaf. Aber wie sie in trunkenem Entzücken sich selber vergaß, fiel von der tückischen oder vielleicht auch nur neidischen oder gar eifersüchtigen Lampe, die diesen Leib selber berühren, küssen wollte, ein Tropfen heißen Öls aus der hellen Flamme auf die rechte Schulter des Gottes.
O du dreiste, du unverschämte Lampe, den Gott des Feuers versengst du, du schändliche Liebesdienerin, die irgendein Verliebter ja nur erfunden hat, um auch in der Nacht die Freuden der Liebe genießen zu können und zu verlängern!
Vor Schmerz sprang der Gott auf, und als er sein Vertrauen getäuscht und verraten sah, entflog er schweigend den Küssen und Armen seiner trostlosen Gattin.
Psyche aber hatte des Entschwebenden rechten Fuß mit beiden Händen umklammert, um ihn als jammervolles Anhängsel auf seinem Flug durch die Wolkenregionen zu begleiten und ihm nachzufolgen, sank jedoch bald ermattet zu Boden.(…)

(aus: Im Reiche des Eros. Sämtliche Liebes- und Abenteuerromane der Antike, Band II. Winkler Verlag München 1983;Hrsg. Bernhard Kytzler)

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