Kunstvermittlung in der Kunsthalle Emden


Kulturvermittlung / Dienstag, September 20th, 2016

Endlich finde ich die Zeit, unseren wunderbaren Aufenthalt in Emden zu sortieren. Hier wie auch drüben bei den Herbergsmüttern werde ich von ein paar Spätsommertagen in Ostfriesland schwärmen. Uns hat nicht nur die weite Landschaft begeistert, sondern es sind die herzerwärmenden tollen Begegnungen mit den Menschen dort, die lange nachwirken.

Besonders schön war der Termin in der Kunsthalle Emden, die seit meiner Zeit im Magister-Examen für mich ein Fixpunkt in der deutschen Kunstlandschaft ist. Die Kunsthalle eröffnete nämlich 1986 (Glückwunsch zum 30Jährigen). Als ich mitten in meiner Magisterarbeit steckte und mich sehr für all die Sammlungen interessierte, die einen Schwerpunkt auf dem Expressionismus haben. Leider hatte es lange Zeit nicht für einen Besuch dort gereicht. Ihr könnt euch also vorstellen, wie happy ich war, dass wir dort während unseres Emden-Ausflugs eingeladen waren. Es gab eine fantastische Führung von Antje-Britt Mählmann durch die Otto-Müller-Ausstellung und ein Gespräch mit Claudia Ohmert, der Museumspädagogin. Anschließend trafen wir noch auf Engelbert Sommer, der die Malschule leitet. Auch so eine Institution, deren Konzept mich seit Langem begeistert.

Claudia Ohmert ist von Haus aus Künstlerin und seit vielen Jahren verantwortlich für die Kunstvermittlung in der Kunsthalle Emden. Sie hat meine volle Zustimmung für ein Verständnis von Kunstvermittlung, das vor allem auf die Anleitung eigener Erfahrungen beim Besucher abzielt. Dazu ist auch die Schulung der Wahrnehmung extrem wichtig. Und vor allem finde ich es wichtig, den Erfahrungen genügend Raum (im übertragenen aber auch im wörtlichen Sinne) zur Verfügung zu stellen. Mein Eindruck ist, dass es den in Emden gibt!

In dem lesenswerten Buch zum 25jährigen Bestehen der Kunsthalle hat Claudia die Vermittlungsidee mit dem Götterboten Hermes in Bezug gesetzt: „Hermes übermittelt seine Botschaften von den Göttern an die Menschen jedoch nicht nur, er übersetzt sie zugleich, macht sie den Menschen verständlich. Schließlich ist Hermes auch für die Rhetorik zuständig.“ Ein sehr eingängiges Bild für die Vermittlungsarbeit!

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In den einzelnen Projekten geht es immer auch darum, in der Alltagswelt Anknüpfungen aufzuspüren und dann mit einem Ausstellungsthema zu verknüpfen. . Mein persönlicher Favorit ist ja die Aktion mit den Tattoos, die zu einer eigens zusammengestellten Kabinett-Ausstellung mit Werken aus der Sammlung initiiert wurde. Eine geniale Verbindung von Kunst der Klassischen Moderne mit der Kultur unserer Zeit. (Ich bin kein Tattoo-Fan, aber ich glaube, so ein von Expressionisten inspiriertes Körperbild – das hat was!).  Aber auch bei anderen Projekten überzeugte mich die Art, wie das Publikum zu einer Interaktion eingeladen wird.

Fantastisch auch die Aktion „Realismus-Kontor: Die Wirklichkeit der Dinge“, bei dem die Idee entstand, dem Publikum für eigene Beiträge einen Raum zur Verfügung zu stellen. Ich bin immer sofort eingenommen, wenn es museumspädagogische Aktionsflächen in der Sammlung oder eben prominent im Hause gibt. Und die Vermittlungsarbeit nicht in irgendwelchen abgelegenen Ecken versteckt wird.

Bei dem „Realismus“-Projekt wird deutlich, wie gewinnbringend eine spielerische Auseinandersetzung mit Kunst für alle Beteiligten sein kann. Die Museumsbesucher wurden aufgefordert, Dinge in der Kunsthalle abzugeben, zu denen sie eine besondere Beziehung haben. Diese wurden dann in einem sorgfältigen Inventarisierungsprozess einer besonderen Sammlung zugeführt. Dazu wurden sie zudem in Kunstharz gegossen. Ganz wichtig war das Gespräch, der Austausch über die „Wirklichkeit“ und die Dinge an sich. In der dazugehörigen Publikation lese ich mich gerade durch die Bemerkungen zu den Einreichungen und erhalte ein berührendes Kaleidoskop verschiedener Biographien.

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Überhaupt: Die Publikationsreihe zu den Interaktionen und auch anderen museumspädagogischen Themen ist sehr schön gestaltet. Ich bin ganz happy, dass einige davon mitnehmen durfte. In denen blättere ich jetzt gerne. (Druckt die unbedingt nach!!)

Was mir bei allen Projekten gefallen hat, die Claudia Ohmert uns vorgestellt hat: es geht um Kommunikation, um die Vermittlung der Wahrnehmung und letzten Endes auch von einem Wissenszugang. Besonders schön ist, dass die Projekte alle sehr sinnlich ausgerichtet werden. Das obere Bild zeigt einen Ausschnitt aus einer Aktion, die das deutlich macht. Eine Erfahrung der Natur mit allen Sinnen steht hier im Vordergrund. Hören, riechen, schmecken. So wird ein Perspektivwechsel angeregt und am Ende entsteht durch die Beiträge der Einzelnen ein Cluster, aus dem sich jeder eigene Impulse für die Wahrnehmung herausziehen kann.

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Die Malschule

Wo wir gerade von Sinnlichkeit sprechen: kaum ein Ort hat solche sinnlichen Reize zu bieten, wie ein Künstleratelier (ich bin total verliebt in den Geruch von Ölfarbe). Ein Fest für die Augen. Welche Möglichkeiten, die in all den Materialien liegen. Dennoch: trotz aller Begeisterung für das Atelier, bevorzuge ich die Interaktion vor den Werken, wenn es um die Kunstvermittlung im Museum geht. Da fällt es mir leichter, die Verantwortung für das Kunstwerk zu übernehmen und den Vermittlungsauftrag einzulösen.

Deswegen gefällt mir die Einrichtung einer eigenen Malschule besonders gut. Diese ist zwar an die Kunsthalle angeschlossen (und wurde von Eske Nannen gegründet). Aber man kann dort eben freier arbeiten und ist nicht an bestimmte Vermittlungsziele gebunden. Obwohl die nebenan ausgestellte Kunst auch bewusst als Inspiration genutzt wird. Aber es geht in der Malschule um weiter gefasste Ziele.

„Das Anliegen der Malschule ist es vielmehr, die Kreativität, die Fantasie, das Vorstellungsvermögen, das ästhetische Gespür und die habituellen Fähigkeiten von Kindern zu fördern und somit ihre Persönlichkeit zu stärken und reifen zu lassen.“ So steht es im Jubiläumsband. Und wir konnten uns bei einem Rundgang von der Leidenschaft überzeugen, mit der das umgesetzt wird.

Die Räume der Malschule sind ein Traum. Auch wenn Engelbert Sommer, seit 1997 Leiter der Malschule, sich freut, dass neue Räume erschlossen werden und man für Werkstätten natürlich nie genug Platz hat. Aber als wir oben in dem Atelier standen, das sich in einen hohen Raum hin öffnet, da hätten wir alle Lust gehabt, uns hinzusetzen und loszumalen.

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Wenn ich zu bestimmen hätte, dann würde ich in jeder Stadt so eine Malschule einrichten. Einen Ort, der sich uneingeschränkt der Förderung von Kreativität und Fantasie widmet. Denn ich bin überzeugt davon, dass dies Wesentliches zur Persönlichkeitsbildung beiträgt und ich könnte heulen, wenn ich mitbekomme, wie gerade solche Angebote in den Schulen weggekürzt werden. Oder zugunsten von Naturwissenschaften in den Hintergrund drängen. Deswegen sind solche Engagements (und es braucht immer den persönlichen Einsatz von Menschen, die das wollen) wie man es bei der Malschule in Emden mitbekommt, extrem wichtig. (Und gerade lese ich drüben beim Blog der Ludwiggalerie, dass es in Oberhausen sogar schon seit 50 Jahren eine gibt! Toll!)

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Beim Rundgang durch die Malschule sind mir die Großformate aufgefallen, die von den ganz Kleinen selbstbewusst gefüllt wurden. Das muss man auch erst mal lernen! Die meisten Kinder trauen sich das nicht! Übrigens: Die Malschule richtet sich an alle Altersstufen! Für Kreativität ist es nie zu spät! Das ist ein schöner Leitspruch. Ich werde noch in einem anderen Blogbeitrag über die Arbeit mit Menschen mit Demenz in Emden berichten!

Die Augen von Engelbert Sommer beginnen zu leuchten, als er von den vielen treuen Malschülern berichtet, die oft über viele Jahre regelmäßig kommen. In dem eingangs erwähnten Jubiläumsband kommen einige davon zu Wort. Da spricht eine junge Frau von der „Versunkenheit“ aber auch „Entspannung“, die sie dort über 12 Jahre erfahren hat. Sie erinnert sich an viele schöne Momente und beschreibt die Atmosphäre sehr nachvollziehbar, indem sie vom sich „treiben lassen“ spricht. Davon,“nichts zu müssen, aber vieles ausprobieren zu können“. Schöner kann man das wohl nicht beschreiben. Und solche Worte der ehemaligen Teilnehmer sind der beste Beweis dafür, dass man alles richtig gemacht hat.

Ich möchte mich an dieser Stelle gerne bei allen ganz herzlich bedanken, die uns so nett in Empfang genommen haben in Emden. Uns Zeit geschenkt haben und uns an ihrer Arbeit teilhaben ließen: Herzlichen Dank Claudia Ohmert, Ilka Erdwiens, Antje-Britt Mählmann und Engelbert Sommer. Und natürlich auch nochmal bei den beiden Herbergsmüttern Gesa Hauschild und Nele Krampen, die den Kontakt im Rahmen unserer #Herbergskultour überhaupt vermittelt haben. Aber zu euch komme ich noch an anderer Stelle!

 

 

 

 

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