Kunst in schlechten Zeiten


Man kann sich das im übersättigten Kulturbetrieb des Westens ja kaum vorstellen, dass man als Kulturschaffender auf der Abschussliste der Obrigkeit steht. Ja, schon klar. Kleine gemeine Behinderungen und viel Unverständnis gibt es auch hier. Aber dass man so wirklich um seine Existenz kämpfen muss und aktiv an der Ausübung der Kunst gehindert wird, das ist doch wohl eher eine Erinnerung an schlechte Zeiten hier bei uns, oder?
Doch was mich schon vor Jahren beschämt hat, als ich mit russischen Papierarchitekten eine Ausstellung organisieren durfte, ist die Tatsache, dass anscheinend trotz aller Repressalien eine wirklich begeisternde und leidenschaftliche Kunst gemacht wird, die auch gehobenen Qualitätsansprüchen genügt. Die utopischen Entwürfe der Architekten damals, entstanden im „Untergrund“ in Moskau unter zum Teil ziemlich miesen Arbeitsbedingungen, hatten einen Zauber an sich, den ich danach sehr selten in Konzepten westlicher Künstler wieder gesehen habe. Möglicherweise ist dies auch das Wesen allen Utopischen.
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Im Museum Ludwig kann man nun den russischen Philosophen Michail Ryklin kennen lernen, der mit dem Vortrag : Wem gehört die Sprache der Kunst? Bilder des Glaubens im Zeitalter ihrer Verstaatlichung Einblicke in die aktuelle russischen Intellektuellen-Szene gewährt.


Film & Vortrag
15.5.2007, 19:00 Uhr, Museum Ludwig Köln
Der russische Schriftsteller, Essayist und Philosoph Mickail Ryklin widmet sich in seinem Vortrag aktuellen politischen Tendenzen im Umgang mit der Meinungs- und Kunstfreiheit im heutigen Russland. Im Januar 2003 wurde im Moskauer Sacharow-Zentrum die Kunstausstellung „Achtung, Religion!“ verwüstet. Doch nicht die Täter sahen sich öffentlicher Ächtung und juristischer Verfolgung ausgesetzt, sondern Ausstellungsmacher und Künstler. In einem Aufsehen erregenden Strafprozess wurden sie der „Beleidigung der religiösen Gefühle des russischen Volkes“ angeklagt und mit Lagerhaft bedroht. Der Vortrag verfolgt die Phasen des Prozesses, der sich hieran anschloss.
Vor dem Vortrag wird der in Zusammenhang mit Ausstellung und Prozess stehende Videofilm „Für alles verantwortlich“ (15 min, Regie: Anna Altschuk/Olga Kumeger, Ton: Aleksej Borisov) gezeigt.
Bis zu diesem Ereignis der Verwüstung der Ausstellung und dem daran anschließenden Prozess glaubte man, die Sprache der zeitgenössischen Kunst sei eine Domäne der Künstler, Kuratoren, Galeristen – eine Sprache, die sich im professionellen Milieu formiere. Niemand hatte Zweifel daran, dass die religiösen Gefühle im Kontext der zeitgenössischen Kunst eine prinzipiell andere Rolle spielen, als sie dies in der Sphäre des religiösen Rituals tun. Beide Vorannahmen erfuhren in diesem Prozess nun eine Infragestellung. Die Organisatoren der Ausstellung verloren ihn und wurden im März 2005 zu einer Geldstrafe verurteilt. In der Folgezeit war immer wieder zu beobachten, dass man Kunstwerke, die sich religiöser Symbolik bedienten, aus Ausstellungen entfernte oder sogar zerstörte. Selbst Ballettaufführungen und Opern mit religiösem Akzent entgingen nicht dem Zorn der Fundamentalisten. Wenngleich die Demontage des Erbes der Aufklärung eine spezifische Färbung in Russland aufweist (hinter dem Rücken der „Staats“-Religion steht die Regierung), so trägt sie doch internationale Züge. Man denke nur an die Auseinandersetzung in Zusammenhang mit den dänischen Mohammed-Karikaturen.
Michail Ryklin (*1948) ist als Schriftsteller, Essayist und Philosoph eine der prononciertesten Figuren des intellektuellen Lebens in Russland.
Er ist Mitglied der Moskauer Akademie der Wissenschaften und hatte zahlreiche Gastprofessuren inne, u.a. in Paris, Strasbourg, New York und Berlin.
Michail Ryklin steht in Russland für einen intensiven philosophischen Dialog mit Westeuropa. So ist er Herausgeber und Übersetzer u.a. von Jacques Derrida, Michel Foucault, Roland Barthes etc., auch hat er 1977 die erste russische Ausgabe des »Moskauer Tagebuchs« von Walter Benjamin herausgegeben.

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