Koch-Kunst


„Die Entdeckung eines neuen Gerichts ist für das Glück der Menschheit von größerem Nutzen als die Entdeckung eines neuen Gestirns.“

Dieses Zitat von Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755 – 1826), Gastrosoph und Verfasser von „Physiologie des Geschmacks oder Betrachtungen über das höhere Tafelvergnügen“, lässt sich wunderbar an der Figur Ferran Adriàs überprüfen. Ein Ausflug ins gar nicht mal so ferne Maastricht brachte mich diesem hochgelobten Küchen-Künstler näher und ließ mich nicht nur eine spannende Ausstellung sondern auch ein ganz fantastisches Kunsthaus entdecken, das ich bestimmt nicht zum letzten Mal besucht habe. An alle Genuss-Menschen: Noch bis zum 3. Juli kann man im Marres, Huis voor Hedendaagse Cultur die Ausstellung „Ferran Adrià: Notes on Creativity“ sehen.

Kreativität zwischen Chaos und Ordnung

„Zeichnen bildet die Grundlage meines kreativen Prozesses“, sagt Adrià. Im ersten Raum der Ausstellung begegnen mir unzählige Blätter mit detailbesessenen Zeichnungen des Katalanen. Irgendwie muss ich an mache Arbeit aus dem Bereich der Art brut denken, auf der ein Outsider seine eigene Welt entworfen hat. Notizen über Notizen. Ich wundere mich über diese extrem kleine und kaum leserliche Schrift. In einem Interview erklärt Adrià den Unterschied zwischen Stift und Bleistift. Mit letzterem ist er immer und überall zugange. Notizen und Zeichnungen mit Bleistift lassen sich radieren/verändern, das ist ihm wichtig!

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Exhibition Ferran Adrià: Notes on Creativity, Marres, 2016: Photo. Gert Jan van Rooij.

Ferran Adrià ist von 1987 bis 2011 der Chef im elBulli, dessen Genese als schnöde Strandbar man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann (fünf mal in Folge war das Restauran zum besten der Welt gewählt worden.) Immer das gleiche Gericht kochen, Abend für Abend. Das kann es nicht sein, dachte sich Adrià und begann neue Gerichte zu kreiieren. Also wirklich neue. Nichts, was bisher dagewesen war. Man habe sich das wie die Komposition eines Musikstückes vorzustellen, sagt er in einem Interview. Das Restauran sei dann der Konzertsaal, in welchem es zur Aufführung gelange. Ähnlich funktioniert auch die Metapher „Drehbuch“ und „Theater“ – so entstand die legendäre Molekularküche. So revolutionierte Adrià das Kochen und das Essen.

Kreativität braucht das Chaos, die Freiheit, zu experimentieren. Ohne das Korsett eines bestimmten Ergebnisses. Deswegen hatte das elBulli auch nur die Hälfte des Jahres geöffnet. In der anderen Hälfte mutierte die Küche zum Labor. Oder zur Alchemisten-Werkstatt „El Taller“.

Kochen als kreativer Akt ist vom Gebrauch aller Sinne bestimmt, sagt Adrià. Sehen. Fühlen (Textur und Temperatur). Schmecken. Riechen. Irgendwie gehört ja auch das Hören mit dazu. (Gibt es nicht Sound-Designer, die den perfekten Crunch eines Chips bestimmen?) Die Ausstellung passt perfekt in das Programm des Marres. Dort setzt man auf die Sinneserfahrung – dazu später mehr.

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Exhibition Ferran Adrià: Notes on Creativity, Marres, 2016: Photo. Gert Jan van Rooij.

1846 – das ist das Geburtsjahr des berühmten Meisterkochs Georges Auguste Escoffier. Aber es ist auch exakt die Anzahl der Gerichte, die im elBulli entstanden sind. Eine Zahl, die Adrià vielleicht auch mit einem Augenzwinkern in Richtung Escoffier gerne veröffentlicht und nun zur Marke gemacht hat – elBulli1846. Ein Museum ist geplant, das eine Art kulinarischer Erlebniswelt werden soll.

Bei allem kreativen Experimentieren – es ist ihm sehr wichtig, dass die neuen Erfahrungen in ein System zu überführen. In der Ausstellung wandelt man durch einige Schaubilder, die einem die elBulli-DNA nahebringen wollen. Immer wieder ploppen Fragen auf. Wann beginnt Kochen?

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Exhibition Ferran Adrià: Notes on Creativity, Marres, 2016: Photo. Gert Jan van Rooij.

Design bringt Innovation

Kreativer Denkprozess auf der einen und unbedingte Perfektion auf der anderen Seite. Das macht richtig gute Küche aus. Bei Adrià geht es so weit, dass er nach eigens für seine Küche hergestellten Gerätschaften verlangt. Es gibt den einzigartigen Suppenduft-Löffel und Objekte, die wie dadaistische Kunstwerke anmuten. Ohne Design gibt es keine Innovation. Auch einer dieser Leitsätze, die man den Wandtafeln der Ausstellung entnehmen kann. Der sogenannte „Spiegelsaal“ der Ausstellung lässt einen ahnen, wie das bis in die letzten Kleinigkeiten durchkomponiert wurde. Da gibt es eigens für bestimmte Geschmackserlebnisse erfundene Teller, Tassen, Gläser. Aber auch aus Fimo geformte kleine „Essenshäppchen“. Denn das Design des Tellers ist ein ganz entscheidender Moment.

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Exhibition Ferran Adrià: Notes on Creativity, Marres, 2016: Photo. Gert Jan van Rooij.

Adrià erkennt eine Chance in der Zusammenarbeit mit Designern. Marta Méndez Blaya entwirft ihm diese mittlerweile zur elBulli-Ikonographie gewordenen Piktogramme. Adrià betont immer wieder das Stichwort „Effizienz“. Er möchte die Anarchie der Kreativität in ein Ordnungssystem überführen. Ein System aus perfekten Produkten, Verarbeitungstechniken und Präsentation. In der BulliPedia will er all dieses kulinarische Wissen festhalten. Mir gefällt es sehr, dass ihm der Aspekt des Weitergebens von Wissen so wichtig ist. Das ist auch das Ziel der elBullifoundation.

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Exhibition Ferran Adrià: Notes on Creativity, Marres, 2016: Photo. Gert Jan van Rooij.

Die Kunst und das Kochen

Ich habe Ferran Adrià eingeladen, weil er es geschafft hat, seine eigene Ästhetik hervorzubringen, die sich in etwas sehr Einflussreiches in der internationalen Szene verwandelt hat. Daran bin ich interessiert, und nicht, ob die Leute es nun für Kunst halten oder nicht. Es ist wichtig zu sagen, dass künstlerische Intelligenz sich nicht in einem bestimmten Medium manifestiert, dass man Kunst nicht nur mit Fotografie, Skulptur und Malerei etc. identifizieren muss, auch nicht mit dem Kochen im Allgemeinen; jedoch, unter gewissen Umständen, kann es auch Kunst sein.“ So Roger M. Buergel anläßlich seiner Verpflichtung von Ferran Adrià zur Documenta 12. Manche meinen ja, damals (2007) sei Kochen endgültig zur Kunst erhoben worden. Denn erstmals wurde hier ein Koch (nicht etwa ein kochender Künstler) eingeladen. (Mich hätte es sehr interessiert, Adrià tatsächlich auch in Kassel agieren zu sehen. Aber er erklärte sein Restaurant elBulli kurzerhand zur Außenstelle der Documenta, in welcher er ausgewählte Gäste der Kasseler Kunstschau bewirtete.)

Anfang der Neunziger verschwand Adrià im Atelier des Künstlers Xavier Medine Campey. Er wollte sich genauer anschauen, wie dieser arbeitete. Es war eine von unzähligen Fragen, für die Ferran Adrià schon fast legendär ist: Hat das Herstellen eines Gerichts etwas von einem Bildhauer? Immerhin arbeiten beide mit physischem Material, nehmen hier etwas fort, fügen dort etwas hinzu. Sicher hat seine Konzentration auf das Thema „Texturen“ etwas damit zu tun. Da entsteht wahrscheinlich seine Vorstellung von „Sculpting Taste“. (Während seiner längeren Aufenthalte im Atelier kochte Adrià übrigens jeden Tag etwas zu essen! )

Es war Richard Hamilton, der den entscheidenden Twist hin zur Kunst bei Adrià förderte. Ja, tatsächlich er, der Erfinder der Pop Art. Hamilton war schon Gast im elBulli, als dies noch ein Lokal mit angeschlossener Minigolf-Anlage war. Und hatte auch schon mal Marcel Duchamp im Schlepptau! Sein Essay in dem lesenswerten Katalog zur Ausstellung ist mit „Thought for Food“ überschrieben. Gedankenfutter! Da blitzen die Synapsen! Hamilton schreibt dem Kochen Adriàs eine poetische Sinnlichkeit zu und sieht in seinen Gerichten eine lyrische Qualität.

„The meals, long sessions filled with a precisely timed sequence of sensations are closer to literature than any other art form. (…) Adrià’s genius lies in his developing and refining a language of food.“

Ein großartiges Essen lässt sich allerdings nicht so einfach in Worte fassen. Merkwürdigerweise macht Sprache oft schlapp, wenn es um das Beschreiben des Genusses geht. So etwas Flüchtiges ist nicht einfach einzufangen und existiere meist – so Hamilton – nur in der Erinnerung. Gerade im Zusammenspiel mit der physischen Teilhabe der Gäste am Essen entstehe dann das große Ganze.

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Auftritt auf dem Teller: In einem der berühmtesten Gerichte aus dem elBulli (La Menestra) gab es eine Komposition aus Blumenkohl-Mousse, Tomatenpüree, Mandel-Sorbet, Rote-Bete-Schaum, Basilikum-Gelee, Mais-Mousse, Pfirisch-Wassereis, Avocado-Stückchen. Form und Farbe bestimmen das Geschmacksexperiment. Man muss sich auf seine Wahrnehmungen verlassen. Vorgeplant wurde es mit Modellen, die eine perfekte Ausführung der vorher notierten Experimente garantieren sollen.

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Marres – ein Ort für alle Sinne

Der Name stammt von den Brauerei-Besitzern, die hier mal wohnten. Heute steht das Haus für zeitgenössische Kunst und wird seit 2013 von Valentijn Byvanck geleitet. Sein Schwerpunkt ist das Sinneprogramm, das Marres seitdem nicht nur mit Ausstellungen sondern auch mit verschiedenen Formaten verfolgt. Sehr spannend: auf Twitter gibt es einen Sinne-Spaziergang (@Sense_W ), der Töne, Gerüche, Gefühle in und um Maastricht twittert!

Wie es scheint, spielt Karneval eine nicht unwesentliche Rolle in Maastricht. Und das Marres macht mit! Sieht ein bisschen aus wie Dada oder die Kölner Lumpenbälle! Die Website scheint übrigens noch im Aufbau. Auf manchen Seiten fehlt noch der Inhalt. Als Kooperationsprojekt gibt es ein Blog, das von Maastrichter Studentinnen initiiert wurde und nun als Gemeinschaftsprojekt weitergeführt werden soll. Das Haus selber ist auf Twitter und Facebook aktiv.

Mein Reden seit Langem ist ja, dass ein gutes Restaurant eine Bereicherung für jedes Museum ist. Nicht nur, weil sich da die größtmögliche Schnittmenge der Zielgruppen ergibt (er gerne gut isst, interessiert sich auch für Kultur!). Sondern das kulinarische Erlebnis lässt einen die visuelle und intellektuelle Erfahrung ganz anders genießen. Und ich habe selten eine so schöne Symbiose zwischen Kulturinstitution und Museums-Restaurant erlebt, wie im Marres.

Marres Kitchen hat einen ganz eigenen Style und serviert eine orientalische Küche, die der Patron Maher Al Sabbagh hervorragend umsetzt. Wir konnten uns persönlich davon überzeugen. Ebenso wie von der vorbildlichen Blogger-Relation, die an diesem Hause gepflegt wird. Besonderer Dank für den persönlichen und netten Empfang geht an Marketing-Frau Immy Willekens. Wir wurden mit Katalog und sämtlichem Pressematerial versorgt, sie hat sich noch Zeit für ein persönliches Gespräch genommen und uns dem Direktor vorgestellt. Der nächste Ausflug nach Maastricht ist schon geplant!

Nachtrag: Ich war mit Ute da und sie hat den Besuch aus ihrer Perspektive auf dem Kunststrudel verbloggt!

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2 Antworten zu “Koch-Kunst”

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