Kaffeehausszenen


Nachdem in den 80er Jahren ein rasch voranschreitendes Cafésterben zu verzeichnen war, stellt man doch im Zuge von Starbucks und Co. erfreut fest, dass zumindest die Kultur des Kaffeetrinkens eine neue Mode geworden ist. Auch wenn natürlich der USA-Import trotz gemütlicher Fauteuils nicht an die früheren Kaffeehäuser heranreicht, so haben sie doch zumindest ein neues Verhalten der Großstädter bewirkt. Denn neben dem Kaffee to go (hektisch auf dem Weg zur Arbeit) bleibt man durchaus auch länger sitzen, unterhält sich und nippt am Macchiato. Das Kaffeetrinken in der Öffentlichkeit ist ein ganz spezieller Aspekt des Großstadtlebens, hat eine lange Tradition und vor allem sehr viel Einfluss auf Kunst und Kultur genommen.
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Die historische Entwicklung der Kaffeehauskultur
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Renato Guttuso, Caffè Greco, 1976
Die Geschichte der Kaffeehäuser hängt in den Anfängen eng mit der Geschichte des Kaffees zusammen. Um aus der Kaffeebohne das heiße Getränk zu gewinnen, bedarf es verschiedener Prozeduren, zu denen bestimmte technische Apparate unerlässlich sind. Die Verbreitung des Kaffees in Europa bedeutete nicht eine gleichzeitige, ebenso große Verbreitung der zu seiner Zubereitung notwendigen Geräte. Man trank Kaffee also dort, wo er zubereitet werden konnte. Die zunehmende Verbreitung des Kaffeegetränks führte zu dessen Ausschank in öffentlichen Lokalen, den Kaffeehäusern. Das Ursprungsland des Produkts beeinflusste zunächst auch den Ort, an dem es ausgegeben wurde. In der Regel den orientalischen Vorbildern folgend, waren die ersten Kaffeehäuser einfache Räume ohne eine reichere Ausstattung.
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Caffè Florian in Venedig, seit 1720; auch Casanova verkehrte hier
Als Umschlagplatz exotischer Waren und for allem aufgrund traditionsreicher Beziehungen zum Orient war Venedig prädestiniert als Standort für das erste europäische Kaffeehaus, das hier 1647 unter den Arkaden der Neuen Prokurazien eröffnet wurde. Als Hafenstadt kam Hamburg früh in Berührung mit dem Kaffee, und so erfolgte hier beinahe zwangsläufig die Einrichtung des ersten deutschen Kaffeehauses. Die Verbreitung des Kaffeegetränks in Europa ging jedoch nicht ohne Vorbehalte vor sich. Das Misstrauen, mit dem man dem neuen heißen Getränk gegenüberstand, war anfangs groß; man sah in seinem Genuss etwas Anrüchiges, weil es als Rauschmittel galt, oder hielt es schlichtweg für giftig. Derlei Zweifel wurden jedoch beiseite geschoben, als sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts in den maßgeblichen kreisen der Gesellschaft eine Vorliebe für Exotisches durchzusetzen begann – eine Tendenz, die das Kaffeetrinken schließlich vollends in die europäische Kultur integrierte. Bald darauf setzte dies die Entstehung ganzer Kaffeehausviertel in den einzelnen Städten in Gang.

Im Zusammenhang mit dieser Entwicklung begann das Kaffeehaus spezifische Charakteristika auszubilden. Die Funktion als reiner Ausschank trat immer mehr in den Hintergrund; das Kaffeehaus gewann Bedeutung als menschliche Begegnungsstätte. Besonders in Zeiten, in denen sich dem gesellschaftlichen leben außerhalb der privaten Sphäre kaum Möglichkeiten zur Entfaltung bot, wurde das Kaffeehaus zu einer wichtigen Einrichtung. So schätze schon Montesquieu das Kaffeehaus, „weil man den ganzen Tag dort sitzen kann und ebenso nachts unter Leuten als allen Klassen.“ Die anregende Wirkung des Kaffees hatte einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Intensität der Unterhaltung des des geistigen Austausches. In diesem Zusammenhang bildete sich auch die Diskussion als ein wichtiges Charakteristikum der Kaffeehausatmosphäre heraus. Weitere charakteristische Merkmale entwickeln sich aus den Aspekten des „Sich-Treffens“ und des gemeinsamen Zeitvertreibs. Das Kartenspielen hatte man aus der „Wirtshaustradition“ übernommen, doch wurde Schach zur beliebtesten Beschäftigung der Kaffeehausbesucher. Die Neuheit des Billards wurde durch das Kaffeehaus erst populär und zählt zu dessen Attributen. Große Bedeutung kam den Kaffeehäusern im Hinblick auf den Tabakgenuss zu, da das Rauchen auf offener Straße lange Zeit nicht gestattet war. Aus all diesen Einzelheiten setzt sich der spezifische Charakter des Kaffeehauses zusammen. Mit einer einseitigen Betonung kulinarischer Genüsse würde man die Eigenart dieses Gasthauses verfehlen, dass deshalb unbedingt von der besonderen Form der Konditorei abzugrenzen ist. Mit den Impulsen, die von Diskussion und Meinungsaustausch ausgehen, erfuhr das Kaffeehaus seine zentrale Bedeutung als Begegnungsstätte, aus der es sich zum Faktor der öffentlichen Meinung entwickelte. Die so vorgebildeten Möglichkeiten hatten nicht selten zur Folge, dass das Kaffeehaus zum Ursprungsort zahlreicher Pläne und Aufrufe wurde und beizeiten auch als Forum politischer Auseinandersetzungen genutzt wurde. In solchen Entwicklungen manifestiert sich in eindringlicher Weise die gesellschaftliche Relevanz der Kaffeehäuser. Konkrete Beispiele finden sich in großer Zahl in England und Frankreich – Länder mit einer bemerkenswerten Tradition politischer Kaffeehäuser. Während der französischen Revolution spielten sie eine wichtige Rolle als Treffpunkte der verschiedenen politischen Gruppierungen Der Aufruf Camille Desmouine zum sogenannten „Sturm auf die Bastille“ erfolgte nicht auf der Straße, sondern im „Café des Foys“, das auch „Café des Patriotes“ genannt wurde. Die war auch der Ort, an dem die Proklamation der Menschenrechte vorbereitet wurde.
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Picasso, Im Lapin agile, 1904

In London hatten die Kaffeehäuser ihren festen Platz im politischen Leben. Die Bezeichnung „penny-universities“ (weil man an der Theke einen Penny für den Kaffee entrichten musste) verdeutlicht ihre Einschätzung als Bildungseinrichtung. Hier entwickelte sich ein Freiraum für Diskussionen, der als Treffpunkt der politischen Oppostion die Regierung veranlasste, 1675 ein Verbot der Kaffeehäuser zu erlassen, das jedoch aufgrund des massiven öffentlichen Drucks bald wieder aufgehoben wurde. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts ging aus dieser Tradition des Londoner Kaffeehauslebens die neue Literaturgattung der Pamphlete hervor, die vor allem durch Jonathan Swift und Daniel Defoe bekannt geworden ist.

Die Politisierung der Kaffeehäuser war ein wesentlicher Aspekt innerhalb der sozialen Funktion, die sie erfüllten er verlor jedoch in dem Maße an Bedeutung, in dem die politische Auseinandersetzung auf andere Formen der Öffentlichkeit ausgeweitet wurde, wie sie mit den fortschreitenden politischen Reformen bereitgestellt wurden.
Eine andere und bis heute gegenwärtige Seite der Kaffeehauskultur liegt in der Entwicklung von Künstler- beziehungsweise Literatencafés. Es ist ein sozialgeschichtlich wie psychologisch interessantes Phänomen, zu verfolgen, wie sich im Laufe der Zeit der Kaffeehausbesuch zum regelrechten Charakteristikum des „Künstler-Seins“ entwickelte und es letztlich scheint, als sei der Künstlertreffpunkt die eigentliche Bestimmung des Kaffeehauses. In erster Linie war es reine Zweckmäßigkeit, die es zum Aufenthaltsort von Kunstschaffenden werden ließ. Schon das bis heute berühme „Caffè del Greco“, das ein Grieche 1760 in der via condotto in Rom eröffnete, bildet in dieser Hinsicht keine Ausnahme. Für die zahlreichen Italienreisenden früherer Jahrhunderte war es die erste Kontaktadresse nach ihrer Ankunft in Rom. Man ließ sich hierher die Post senden, traf Bekannte und regelte Unterkunftsprobleme. Diese Möglichkeiten des Kaffeehauses ließen das „Caffè Greco“ auch zum Mittelpunkt des deutschen Künstlerkreises in Rom werden, der hier zu Goethes Zeiten dominierte.

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts fungierte das „Caffè Greco“ als Gründungsort einer sezessionistischen Künstlervereinigung, deren jährliche Ausstellungen die Basis für die später in Venedig organisierte erste Kunst-Biennale bildeten. Diese verdeutlichen einen weiteren zweckrationalen Charakter der Künstlercafés. Der Kaffeehausbesuch diente dem internen Zusammenhalt einer Gruppe und gab ihr so ein spezifisches Gepräge. Aus dieser Vorgabe entwickelte sich immer wieder eine enge Zuordnung bestimmter Kaffeehäuser zu verschiedenen Künstlerkreisen. (Im Pariser „Lapin agile“ scharte Picasso seine Anhänger um sich; am Boulevard Montparnasse verkehrten Matisse und sein Kreis im „Café du Dôme“). Solche „Stammtische“ erleichterten es dem Neuankömmling, Anschluss zum lokalen intellektuellen Leben zu finden. Daneben darf jedoch die Bedeutung des Kaffeehauses als „Wärmehalle“ vor allem im Winter in Anbetracht der schlechten Wohnverhältnisse der meisten Künstler nicht unterschätzt werden.
Das Publikum dieser Kaffeehäuser bestand neben den Künstlern und Gestalten der Halbwelt-Szene immer auch aus einem gewissen Anteil bürgerlicher „Zuschauer“. In der direkten Konfrontation von Künstlern und deren Zielgruppe lag ein weiterer Vorzug des Kaffeehauses. Die Künstler hatten hier ein Forum, sowie die Möglichkeit, Gönner oder Käufer zu finden.

Weniger intim und exklusiv als der Salon, bot das Kaffeehaus gerade in Zeiten einer Entwicklung des Literatur- und Kunstbetriebs auf der Basis wirtschaftlichen Fortschritts einen durchaus ökonomisch verwertbaren Vorzug für die Künstler.
Seit gegen Ende des 18. Jahrhunderts ein Wiener Kaffeehausbesitzer die Idee hatte, möglichst viele Zeitungen in seinem Lokal auszulegen, war ein weiterer Anziehungspunkt des Kaffeehauses für seine intellektuell interessierten Besucher entstanden. Da der Pressebetrieb zu der Zeit kaum entwickelt war, wurde das Kaffeehaus in diesem Zusammenhang zur Verbreitungsquelle gedruckter Nachrichten und veröffentlichter Meinung. nebenbei hatte es nicht selten die Aufgabe, selbst als Redaktionsraum zu fungieren. Walter Benjamin hat diese Bedeutung des Kaffeehauses hervorgehoben: „Der Kaffeehausbetrieb spielte die Redakteure auf das Tempo des Nachrichtendienstes ein, ehe noch dessen Apparatur entwickelt war.“
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Hitzige Diskussion im „Procope“

Die besondere Rolle des Kaffeehauses innerhalb der Geistesgeschichte ist in der Literaturwissenschaft mehrfach betont worden. Als herausragende Beispiele sind in diesem Zusammenhang das „Café Procope“ als literarisches Zentrum der Aufklärungsepoche in Frankreich und das „Neumersche Kaffeehaus“ als Treffpunkt der Literaten des Vormärzes zu nennen. Nicht zuletzt hat die Institution des Kaffeehauses neben ihrem Einfluss auf künstlerische wie literarische Strömungen auch ihren Reiz als Inspirationsquelle. In seinem Buch “Dichter im Café“ führt Hermann Kesten diesen Aspekt in unmittelbarer Weise vor. „Ein großer Teil des Lebens hat Platz im Kaffeehaus. Von der Liebe zum tod, vom Spiel zum Geschäft …“ Die Anregungen, die viele Künstler und Schriftsteller aus dem spezifischen Ambiente schöpfen, lassen das Kaffeehaus nicht selten „zum Nährboden ihres Schaffens“ werden. Es scheint, als stecke in der Wirklichkeit des Kaffeehauses immer auch eine Tendenz zur Utopie, weil es „er einzige Ort (ist), wo das Gespräch die Realität schafft, wo gigantische Pläne, utopische Träume (…) geboren werden, ohne dass man seinen Stuhl verlässt.“ Dieser von Montesquieu hervorgehobene Aspekt lässt die künstlerische Verarbeitung des Kaffeehauses nicht unberührt.

 

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