In memoriam van Gogh

Zu meinen Lieblings-Jobs (leider viel zu selten) gehören Konzepte für Kultur Events. Aus dem Vollen schöpfen, tagelang recherchieren und eine Idee gemeinsam mit Schauspielern und anderen Akteuren lebendig werden lassen. Ich liebe das.  Eine Veranstaltung, die mir hier besonders in Erinnerung geblieben ist, war die zu Vincent van Goghs 150. Geburtstag. Das war 2003, kurz nachdem ich mich selbständig gemacht hatte. Gemeinsam mit einer Truppe aus PR-Menschen, Gastronomen und einigen lieben Kolleginnen und Kollegen haben wir da ein Spektakel inszeniert, das den berühmten Maler ehren sollte. Die Location existierte schon kurz danach nicht mehr. Ich erinnere mich auch nur dunkel daran. Es war ein Anbau an die ehemalige Bahndirketion am Rheinufer. Fotos von der Veranstaltung habe ich leider keine verwahrt 🙁

Todestag

Heute möchte ich an den tragischen Tod des Malers Vincent van Gogh vor 125 Jahren erinnern. Und zwar mit dem Blick in mein damaliges Drehbuch. Das Event hatte ich um ein fiktives Gespräch der beiden Künstler Vincent van Gogh und Paul Gauguin in Szene gesetzt. Inspiration lieferten einige Briefstellen , die ich aus verschiedenen Quellen zusammengestellt hatte. (Nebenbemerkung: Zur Illustration habe ich eine Skizze gemacht. Klar, van Gogh ist längst gemeinfrei. Aber ich habe keine Möglichkeit gefunden, mir guten Gewissens eine Datei von dem berühmten Selbstbildnis mit abgeschnittenem Ohr herunterzuladen. Sorry, aber mir war das mit den Commons auf Wikipedia zu heikel. Da steht als Lizenzgeber der Produzent einer Bilder-CD. Die Lizenzkaspereien auf der Museumsseite wollte ich mir auch nicht antun. Nur mal so nebenbei und um noch eine weitere Facette unseres immer wieder aufflackernden Diskussionsthemas aufzuzeigen.)

[Was bisher geschah …]

Vincent van Gogh hatte die Vision eines „Ateliers des Südens“ und Paul Gauguin lange bekniet, zu ihm nach Arles zu kommen. Gemeinsam wollten sie dort leben und malen. Gauguin hatte eigentlich keine Lust darauf und irgendwie nervte ihn der Eifer Vincents auch gehörig. Doch scheint er damals den finanziellen Support Theo van Goghs ganz attraktiv gefunden zu haben. Wie dem auch sei. In der etwas aufgeheizten Stimmung kam es zu einem folgenschweren Abend.

Hiermit lade ich euch zu einer kleinen Zeitreise in das Jahr 1888 ein. Wir stellen uns vor, dass wir in dem berühmten Nachtcafé von Arles folgendes Gespräch zwischen zwei Hitzköpfen belauschen. [Vorhang auf]

[Auftritt Vincent und Paul]

P.G.: „Du wirst erst ein Künstler werden, Vincent, wenn du die Natur ansehen, zu deinem Atelier zurückgehen und sie kalten Blutes malen kannst.
V.V.G.: „Ich will nicht kaltblütig malen, du Dummkopf. Ich will begeistert malen! Deswegen bin ich in Arles.
P.G.:„Die ganze Arbeit, die du geleistet hast, ist sklavische Nachahmung der Natur. Du musst lernen, aus dem Stegreif zu malen.“
V.V.G.:„Aus dem Stegreif! Guter Gott!“
P.G.: „Und noch etwas; du hättest gut getan, auf Seurat zu hören. Die Malerei ist abstrakt. Da ist kein Platz für die Geschichten, die du erzählst, und die Moral, die du lehrst.
V.V.G.:„Ich lehre Moral? Du bist irrsinnig.“
P.G.:„Wenn du predigen willst, Vincent, kehre zur Kirche zurück. Die Malerei ist Farbe, Linie und Form, nicht mehr. Der Künstler kann das Dekorative in der Natur wiedergeben, aber das ist alles.“
V.V.G.:„Die dekorative Kunst. Wenn das alles ist, was du aus der Natur herausholen kannst, gehst du am besten wieder zur Börse.
P.G.:„Wenn ich das mache, werde ich auch deine Predigt am Sonntagmorgen hören. Was holst du aus der Natur, Brigadier?
V.V.G.:„Bewegung, Gauguin, den Rhythmus des Lebens.“
P.G. „Nun geht es los!“
V.V.G.:„Wenn ich die Sonne male, will ich, dass die Menschen fühlen, wie sie sich unbeschreiblich schnell dreht und Licht- und Hitzewellen von enormer Kraft ausstrahlt. Wenn ich ein Kornfeld male, will ich, dass die Menschen fühlen, wie die Atome in dem Korn drängen und drücken, bis sie vollgewachsen sind und bersten. Wenn ich einen Apfel male, will ich, dass die Menschen fühlen, wie der Saft des Apfels gegen die Schale drückt, wie die Samen im Kerngehäuse nach außen drängen, eine neue Frucht werden wollen!“

[Gauguin liest aus „Vorher und Nachher – Lebenserinnerungen“. Vincent steht an der Bar und zelebriert das Absinth-Ritual]

Wir gingen an demselben Abend ins Café. Er trank einen leichten Absinth. Plötzlich war er mir Glas und Inhalt an den Kopf. Ich wich dem Wurfe aus, packte ihn unter den Arm, verließ das Café, kreuzte den Victor-Hugo-Platz, und wenige Minuten später lag Vincent in seinem Bett, wo er nach einigen Sekunden einschlief und erst am nächsten Morgen erwachte.
Beim Aufwachen sagte er sehr ruhig: „Lieber Gauguin, ich erinnere mich dunkel, Sie gestern beleidigt zu haben.“ „Ich verzeihe Ihnen gern und von Herzen, aber die Szene von gestern könnte sich wiederholen und wenn ich getroffen würde, könnte ich die Herrschaft über mich verlieren und Ihnen an die Kehle gehen. Darum gestatten Sie mir, dass ich an Ihren Bruder schreibe, um ihm meine Rückkehr anzuzeigen. Mein Gott, welch ein Tag!

Gegen Abend hatte ich mein Essen gerichtet und spürte das Bedürfnis, mich allein ein wenig im Duft der blühenden Lorbeerbäume zu ergehen. Schon hatte ich fast den Victor-Hugo-Platz ganz überquert, als ich hinter mir einen wohlbekannten leichten, schnellen und hastigen Schritt hörte. Ich wandte mich just in dem Augenblick um, als Vincent sich mit einem offenen Rasiermesser in der Hand auf mich stürzt. Die Macht meines Blickes muss in diesem Augenblick sehr stark gewesen sein, denn er hielt inne, und gesenkten Hauptes lief er in der Richtung nach Hause fort.
War ich damals feige, hätte ich ihn nicht entwaffnen und zu beruhigen suchen sollen? Häufig habe ich mein Gewissen befragt und habe mir keinen Vorwurf gemacht. Werfe, wer will, den ersten Stein auf mich. Kurz entschlossen ging ich in ein gutes Arler Gasthaus, frage nach der Zeit, nahm ein Zimmer und legte mich zu Bett.

Aufgeregt wie ich war, schlief ich erst gegen drei Uhr morgens ein und erwachte ziemlich spät gegen halb acht Uhr. Als ich auf den Platz kam, sah ich einen großen Menschenauflauf. Gendarmen standen vor unserem Haus und ein kleiner Herr in steifem Hut, der Polizeikommissar.

[Zeitungsbericht wird verlesen]

Am vorigen Sonntag, abends um 11 Uhr 30, erschien ein gewissen Vincent Vangogh, Maler, aus Holland gebürtig, im Freudenhaus Nummer 1, verlangte eine gewisse Rachel zu sprechen und übergab ihr sein Ohr mit den Worten: Heben Sie diesen Gegenstand sorgfältig auf. Dann verschwand er. In Kenntnis gesetzt von diesem Vorgang, der nur die Tat eines armen Geisteskranken sein konnte, begab sich die Polizei am nächsten Morgen ins Haus des Vorgenannten und fand ihn im Bett liegend vor; er gab kaum noch ein Lebenszeichen von sich. Der Unglückliche wurde als dringender Fall dem Krankenhaus überwiesen.

30. Dezember in der Lokalzeitung „Le Forum Républicain

Chronologie der weiteren Ereignisse [von Moderatorin gelesen]

Dezember 1888
Theo verlobt sich mit Johanna Gesina Bonger
7. Januar 1889
Entlassung aus dem Krankenhaus
4. Februar 1889
Erneuter Anfall
7. Februar 1889
Abermals im Krankenhaus. V. leidet an Schlaflosigkeit und Halluzinationen (er glaubt, dass man ihn vergiften wollte)
März 1889
Aufgebrauchte Bürger erwirken eine Internierung im Krankenhaus für den „foux roux“. Sein Haus mit allen Bildern wird kurzfristig von der Polizei geschlossen. Lies und Will schicken einen Wechsel über 678,23 Francs (der von V. einstmals abgetretene Erbteil seines väterlichen Erbes)
April 1889
V. räumt das gelbe Haus. Durch feuchte Wände aufgrund von Hochwasser haben die dort zurückgelassenen Bilder Schaden genommen.
8. Mai 1889
V. geht wg. wiederholten schweren Krisen auf eigenen Wunsch in das Asyl für Geisteskranke (Hospital, ehemaliges Kloster Saint-Paul-de-Mausole) bei Saint-Remy-de-Provence. Der leitende Arzt Dr. Peyron „diagnostiziert“ Epilepsie – nach entsprechenden Hinweisen auf angebliche Epilepsiefälle in der Familie der Mutter.
Juni 1889
Vincent darf jetzt auch – in Begleitung – außerhalb des Asylbereichs arbeiten
August 1889
Erneuter Anfall beim Malen im Freien (Verschlucken giftiger Farben oder Terpentin)
September 1889
Im Salon des Indépendants in Paris werden 2 Bilder van Goghs ausgestellt
Ende Dezember 1889
Plötzliche Geistesverwirrung. V. versucht abermals Farben zu verschlucken
18. Januar 1890
Ausstellungseröffnung der Gruppe „Les Vingt“ mit 6 Bildern von V. Toulouse-Lautrec fordert einen anderen Maler, der sich abfällig über V. Bilder äußert, zum Duell.
31. Januar 1890
Theos Frau Jo bekommt einen Sohn, der den Namen seines Onkels und Paten Vincent Willem erhält
Februar 1890
Anne Boch, Tochter aus der Keramik-Dynastie und Schwester des Dichters Eugène kauft in Brüssel das Gemälde „Der rote Weinberg“ für 400 Francs. Neben einer schon früher für einige Francs an einen Kunsthändler veräußerten Zeichnung wird dies das einzige Bild sein, das V. zu Lebzeiten verkaufte.
Ende Februar 1890
Erneuter Anfall nach einem Besuch in Arles mit fast zweimonatiger Auswirkung
März 1890
V. ist beim Salon des Independantes mit 10 Gemälden vertreten und hat einen großartigen Erfolg.
16. Mai 1890
V. verlässt Saint-Paul. Ankunft in Paris am 17.5.1890
20. Mai 1890
V. reist weiter nach Auvers-sur-Oise, wohnt dort in dem kleinen Café des Ehepaars Ravoux und wird von Dr. Gachet betreut. Er wird bis zu seinem frühen Tod noch über 80 Gemälde malen.
Juni 1890
Bisher lange vertuschte Liebesbeziehung zwischen dem 37jährigen Vincent und er 21jährigen Marguerite Gachet. Dr. Gachet erteilt ihm Hausverbot.
6. Juli 1890
Offensichtlich gab es Differenzen bei einem Sonntagsbesuch V. bei Theo
24. Juli 1890
Letzter Brief an Theo
27. Juli 1890
V. kommt erst spät am Abend von einem Spaziergang nach Hause. Das Ehepaar Ravoux bemerkt, dass er an Schmerzen leidet und holt den Ortsarzt Dr. Mazery und Dr. Gachet. Vincent gesteht, dass er sich eine Kugel in die Brust geschossen hat, die aber nicht entfernt werden kann.
29. Juli 1890
Gegen 1 Uhr 30 in der Frühe erliegt V. im Beisein von Theo seinen Verletzungen.
Da der katholische Pfarrer von Auvers den Leichenwagen der Gemeinde für einen Selbstmörder nicht zur Verfügung stellt, wird einer aus der Nachbargemeinde besorgt.
30. Juli 1890
Gegen 15 Uhr wird V. beigesetzt auf dem am Rande der Felder liegenden Friedhof von Auvers. Gachet sagt in seiner Grabrede u.a. „Er kannte nur zwei Ziele: die Menschlichkeit und die Kunst.

1990
Der japanische Industrielle Ryoei Saito ersteigert bei Christies in London in nur drei Minuten für 82,5 Millionen Dollar ersteigert das Gemälde „Bildnis des Dr. Gachet“. Als er das Bild erworben hatte, sagte er „Legt das Bild in meinen Sarg, wenn ich sterbe.“ Seit jener Aufsehen erregenden Versteigerung wurde das Gemälde nie mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Saito verstarb 1996.
(Eine zweite Version des Gemäldes ist heute im Musée d’Orsay zu sehen.)

 

 

 

 

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