Enzensberger schockt Kulturpolitiker


Im Mai trafen sich die Mitglieder des „orden pour le mérite“ in Berlin und der Autor Hans Magnus Enzensberger hat mit einer provokanten Rede seine Meinung zur Kulturpolitik kund getan. Zum einen wettert er gegen die Verbeamtung von Kulturverantwortlichen und zum anderen schwingt er sich in die allgemein immer wieder gerne gehörte Litanei gegen die Eventkultur ein. Sicher hat die Rede auch den Grund gehabt, über die Mißstände der Kultur vor allem in öffentlicher Hand nachzudenken. Da möchte ich Enzensberger vor allem hinsichtlich der Beamtenmentalität beipflichten. Doch per se eine Verurteilung von Großveranstaltungen zu betreiben? Da scheint mir doch beim Schriftsteller ein wenig der Elfenbeinturm durchzuschimmern und grundsätzlich die Einstellung, dass Kultur kein Massenereignis sein dürfe. Ich finde aber, das sollte unser Ziel auf jeden Fall sein: Kultur massenkompatibel zu machen und nicht nur wenigen Eingeweihten zugänglich!!


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Sehr geehrter Herr Minister, liebe Ordenssch­western und -brüder, meine Damen und Herren, wer wüßte es nicht: das Thema, über das zu reden mir aufgetragen ist, steckt voller Fallstricke, Kulturpolitik: Nicht nur weiß niemand genau, was dieser zwittrige Begriff genaugenommen bedeutet. Er gleicht einem Kentaur, einem Hippogryphen, einer Sphinx, mit einem Wort: einer Chimäre. Fest steht nur, daß die Kulturpolitik jenseits des Feuilletons für alle, die mit ihr zu tun haben, mehr Widrigkeiten als Freuden bereit hält. Es ist somit keiner zu beneiden, der tagaus, tagein ex officio damit befaßt ist.
Gewiß ist es erfreulich, daß der Staat sich überhaupt der Kultur annimmt, ein Umstand, der auf eine lange deutsche Tradition zurückgeht. Bekanntlich rührt das auch daher, daß die deutsche Einheit eine ziemlich späte Errungenschaft gewesen ist. Die Kleinstaaterei ist unser Lieblings­spielzeug geblieben, und so leistet sich jedes Residenzstädtchen bis heute sein Theater, sein Orchester, sein Museum, das eine oder andere Festival und manche andere Annehm­lich­keiten. Wenn der Bund es nicht richtet, wird es schon das Land oder die Gemeinde tun – ein Zustand, um den uns manche Leute im Ausland, vornehmlich, aber nicht ausschließlich Künstler, gelegentlich beneiden.
Das ist nett, aber teuer. Es ist deshalb kein Wunder, daß die Kulturpolitik vor allem dann von sich reden macht, wenn es um Geld geht. Ich kann mir lebhaft vorstellen, wie es in vielen zuständigen Ausschüssen, Räten und Gremien zugeht. Sie sind gewöhnlich nicht mit Komponisten, Bildhauern oder Autoren besetzt, sondern mit Verbands­vertretern, die gerne zu solchen Sitzungen eilen. Ihre Mitglieder sind sich der Tatsache wohlbewußt, daß sie immer am Katzentisch der Politik sitzen. Zwar kann sich kein Finanzminister und kein Stadtkämmerer ihrer gänzlich entledigen; das Geheul der Zeitungen klänge den Politikern allzu schrill in den Ohren, wollten sie allzu deutlich aussprechen, was sie von diesen ewig unzufriedenen Kostgängern halten, und im übrigen gibt es ja auch Volksvertreter, die sich hin und wieder in der Oper oder auf einer Vernissage sehen lassen.
In jedem Fall aber stellt die Kulturpolitik, sobald es im Etat knirscht, das ideale Bauernopfer dar. Zwar bringt es bitter wenig, hier ein Goethe-Institut und dort eine Bibliothek oder eine Musikschule zu schließen; im Gegenteil, es handelt sich um die gezielte Vernichtung von Investitionen. Aber dort, wo Entscheidungen getroffen werden, sind die sogenannten weichen Faktoren immer als erste dran; denn wer möchte sich schon mit der Industrie, mit den Bauernverbänden oder mit den Sportkonzernen anlegen? Und außerdem: Sind die sogenannten Kultur­schaf­fenden nicht selber schuld daran, daß ihr Budget sich so wunderbar als Verfügungsmasse eignet? Konstitutionell unfähig, sich politisch zu organisieren, sind sie nicht in der Lage, ihre Interessen als Wähler zu vertreten und durchzusetzen. Mit der Strom- und der Pharmalobby ist noch keine Regierung fertig geworden; die Kulturin­dustrie hingegen braucht niemand zu fürchten, obwohl sie nach der Zahl der Beschäftigten und nach ihrem Umsatz die Landwirtschaft und andere Branchen bei weitem übertrifft.
Ich muß übrigens zugeben, daß mich das gar nicht weiter stört. Ich bin nämlich froh, wenn ich darauf verzichten kann, daß der Staat mir unter die Arme greift. Ich bin schon froh, wenn er mir keine Knüppel zwischen die Beine wirft, wie er es mit seinem hirnlosen Versuch getan hat, die deutsche Rechtsch­reibung zu ruinieren. Als Schriftsteller bin ich freilich in einer relativ glücklichen Lage; denn die Produk­tions­kosten eines Buches liegen im niedrigen vierstelligen Bereich. Wehe aber dem, der eine Oper auf die Bühne bringen oder einen Film drehen will! Sein Aufwand geht in die Millionen, und deshalb wird er früher oder später als Bitt- und Antragsteller auftreten müssen. Auch in diesem Fall wird man jedoch daran erinnern dürfen, daß die Fütterung von Künstlern nicht zu den Geboten unserer Verfassung gehört. Wer Theater spielen, Installationen hervorbringen oder Gedichtbände schreiben will, sollte sich darüber im klaren sein, daß er sich auf höchst riskante Tätigkeiten einläßt. Für den Fall, daß er mit seiner Arbeit kein Auskommen findet, sollte er darauf verzichten, sich beim Staat zu beklagen. Jammernde Künstler sind kein schöner Anblick. Sie sehen schon, Herr Minister, meine Damen und Herren, ich habe Ihnen keine starken Ratschläge und keinen Trost zu bieten. Vielleicht erlauben Sie mir aber wenigstens zwei kleine Anregungen. Meine erste Bitte geht dahin, sich, soweit es nur geht, von der Verbeamtung der Kultur zu verabschieden. Die Tätigkeiten, um die es sich hier handelt, stehen dem Dienstrecht fern; sie kennen keine Pensionsansprüche, keinen Bundesan­gestell­tentarif und keine Garantien. Lassen Sie deshalb in Ihrer ministeriellen Güte Zeitverträge walten, vertreiben Sie die Gewerkschaften aus dem Musentempel, geben Sie den Leuten Autonomie, und verabschieden Sie sich von dem häßlichen Laster des Kameralismus.
Meine zweite Bitte schneidet hoffentlich weniger tief und schmerzhaft in die Gepfloge­nheiten deutscher Behörden ein. Wo es an Mitteln fehlt, sollte man es, denke ich, unterlassen, das Geld zum Fenster hinauszuwerfen. Das geschieht tagtäglich in einem Marathon von Veran­stal­tungen, Weltaus­stel­lungen, Podiumsgesprächen und Kongressen, für die sich in unserer Sprache die Bezeichnung Event eingebürgert hat. Flugtickets von und zu den entferntesten Destinationen, Hotels, Pressekon­ferenzen, Sicherheitskräfte, großes Büffet – für diesen Zirkus fehlt es sonder­barer­weise nie an Geld. Der gastgebende Würdenträger erzielt ein stattliches Echo in der Presse und darf in der Tagesschau auftreten. Produziert wird normalerweise wenig oder nichts. Entscheidend ist die Repräsentation. Für das, was ein solches Großereignis kostet, könnte man Dutzende von Übersetzern ins Brot setzen, angehende Filmemacher mit Kameras und Schneidetechnik ausrüsten und ganze Bibliotheken gründen. So etwas ist preiswert, aber unauffällig. Dazu braucht es keine Gala, und ich versichere Ihnen, was dabei herauskäme, kann keine Großveranstaltung leisten. Mit der Kultur verhält es sich wie mit dem Brötchen. Gewöhnlich sind es die kleinen, die am besten schmecken.
Es mag Ihnen merkwürdig vorkommen, daß ich mich aus diesem Anlaß mit solchen Bemerkungen hervorwage; denn wir befinden uns hier schließlich selber auf einer Tagung. Ist das nicht ein performativer Widerspruch? Als mildernden Umstand mögen Sie immerhin gelten lassen, daß wir so wenige sind. Unser Treffen ist keine Mammut­veran­staltung. Das ist gut; denn jeder von Ihnen weiß aus Erfahrung, daß sich die Ergiebigkeit einer Unterhaltung umgekehrt proportional zu ihrer Teilnehmerzahl verhält. Und somit, meine Damen und Herren, Gott und allen Musen befohlen!
Die Rede von Enzensberger ist auch in der Frankfurter Allgemeine Zeitung am 31. August 2006, Seite 33, abgedruckt worden.

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