Der Ursprung der Moderne – Teil 2

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts suchten viele Künstler nach Inspiration und Erneuerung vor allem in außereuropäischen Kulturen. Die Möglichkeit, Reisen zu unternehmen, bot ihnen eine ganz unmittelbare Möglichkeit, diese neuen Impulse zu erleben. Es ist spannend, wie unterschiedlich einzelne Künstlerpersönlichkeiten sich dem Neuen näherten und wie auch in diesem Zusammenhang eine gewisse Legendenbildung nicht von der Hand zu weisen ist. Offenbar taten sich die Künstler auch schwer damit, ihre Vorbilder und Einflüsse zuzugeben. Der Vorwurf der intellektuellen Ausbeutung schien ihnen zu gefährlich nahe. In der Tat ist es ja erst seit den späten 90er Jahren des 20. Jahrhunderts so, dass die außereuropäische Kunst auf dem Markt überhaupt wahrgenommen wird.


Nolde
Seine Reise in die Südsee diente nicht dem Bestreben, eine Identität mit den Eingeborenen zu finden oder gar mit ihnen leben zu wollen, sondern Antrieb war „das starke Gefühl einer Empfindungsverwandtschaft in letzter Tiefe, … ein drängendes Suchen nach dem Primären, dem Ursprünglichen – letzter religiöser Humanismus.“ (M. Sauerlandt in Noldes Biographie)
„Als ich in fremden Ländern reiste und bei den Urvölkern der Südsee war, war es mein besonders Verlangen, einige ganz von jeder Zivilisation unberührte Erstheiten der Natur und Menschen kennenzulernen… Meine vielen Farbenzeichnungen und die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch unbeeinflußt von exotischer Art zu bilden, ja, meine kleinen Holzplastiken, ‚mit dem Material in der Hand‘ mitten zwischen Inseln und Stürmen der Urbevölkerung entstanden, blieben Empfindung und Darstellung so heimatlich nordisch deutsch, wie alle deutsche Plastiken es sind – ich selbst es bin. Die Kunstäußerungen der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitve Kunst aller Völker es war – inklusive der des germanischen Volkes in seinen Uranfängen. Es ist schön zu sehen, wie der primitive Mensch aller Rassen am Verzieren, Ornamentieren, Gestalten seine Freude findet, und später, wenn kultisch-kulturell er sich entwickelt, das Zierende, Formale sich zu großer, freier Natur- und menschlicher Darstellung in geklärter Monumentalität, lyrischer oder dramtischer Gestaltung steigert.“ (Emil Nolde)
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Anfang 1913 schloß sich Nolde mit seiner Frau Ada als Mitglieder der offiziellen „Medizinisch-demographischen Deutsch-Neuguinea-Expredition“ des Reichskolonialamtes an. Die Route führte über Moskau durch Sibirien, die Mandschurei, Korea, Japan, China, über Manila und die Palau-Inseln nach Neuguinea.
Schon 1911/12 hatte Nolde sehr umfangreich im Berliner Völkerkundemuseum Masken, Figuren und Gegenstände gezeichnet und war fasziniert von deren ursprünglicher Ausstrahlung. Als unveränderte Zitate tauchen sie dann in mehreren Gemälden mit Stilleben auf.
Die absolute Ursprünglichkeit, der intensive, oft groteske Ausdruck von Kraft und Leben in allereinfachster Form – das möge es wohl sein, was uns die Freude an diesen eingeborenen Arbeiten gibt.“
(Emil Nolde, Aufzeichnungen für sein nie realisiertes Buch „Kunstäußerungen der Naturvölker“)
Stil
KOLONIALISMUS
Deutschland begann kurz nach 1880 mit seiner kolonialen Expansion. In der Bevölkerung war man einhellig der Meinung, der Erwerb von Überseeterritorien werde dem Land ökonomisch und militärisch nützen.
Die Beeinflussung der eigenen Kultur durch die Eroberung fremder Länder macht sich vor allem durch die Entstehung von ethnographischen Sammlungen deutlich. Aber auch die Präsentation Eingeborener in Ersatzhabitaten in zoologischen Gärten und exotische Darbietungen, wie sie sich damals im Kabarett und im Zirkus großer Beliebtheit erfreuten, blieben nicht ohne Wirkung.
Es stellt sich aus heutiger Sicht die kritische Frage nach den Stereotypen, die damals bereits auch von den Expressionisten genutzt wurden, um die eigenen Kunstäußerungen zu legitimieren. Kirchner brachte das Klischee des gefräßigen, durch und durch sexualisierten schwarzen Körpers, um seine eigenen Vorstellungen von sexueller Befreiung zu propagieren.
1915 erschien Carl Einsteins grundlegendes Werk „Negerkunst“
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Nachdem man im Ersten Weltkrieg alle Überseebesitztümer verloren hatte, machte sich im Nachkriegsdeutschland der sog. Deutsche Kolonialverein daran, die verlorenen afrikanischen und sonstigen Gebiete wiederzugewinnen. Die öffentliche Meinung war geprägt von Rassentheorien, kolonialen Aufwallungen.
Pablo Picasso
Picassos Arbeiten seit dem Winter 1905/06 sind eine einzige Kette von Formexperimenten. Am Ende dieses Weges steht der Durchbruch zur ersten wirklich modernen Kunstsprache.
Im Louvre gab es eine eigene Abteilung iberischer Kunst mit Werken, die 1903 bei Ausgrabungen in Osuna entdeckt worden waren. Diese archäologischen Forschungen hatten ihren Ursprung in einem seinerzeit virulenten Interesse an sogenannter primitiver Kunst, die man als ursprüngliche Ausdrucksform ansah. Bei einem längeren Aufenthalt in der spanischen Provinz Gósol im Sommer 1906 sah sich der Maler dann auch mit der Archaik des einfachen Lebens der Bauern konfrontiert. Picasso steigerte das seit dem 19. Jahrhundert vorhandene Interesse am Exotischen, weit Entfernten in Frankreich. (Das französische Kolonialreich in Marokko hatte durch Delacroix und seine romantischen Kollegen die Motivik der Romantik mit exotischen Abbildungen von Berbern und arabischen Märkten, von Tänzerinnen und Kriegskamelen von Löwenjagden und Riffkriegern bereichert.) Für Picasso bedeutete die Negerplastik eine imginäre Form im Dienst ihres eigenen machtvollen Seins, unabhängig von sinn und Zweck. Die erstaunliche Tatsache, daß der Negro-Afrikaner sein Werk aus kühn vereinfachten plastischen Einzelformen aufbaute und sie nach neuem Konzept zur suggestiven Ganzheit, zur absoluten Form zusammenfügte, wurde 1907/07 wegweisend für den Kubismus. Er und Braque besaßen afrikanische Schnitzereien, hatten aber überhaput kein anthropoligisches Interesse an ihnen. Ihr ritueller Gebrauch war ihnen gleichgültig. Jedoch waren wohl die Kubisten die ersten Künstler, die auf Idee kamen, die afrikanische Stammeskunst als Quelle ihres Schaffens zu nutzen.
Picasso besaß eine Gere-Wobe-Maske, deren Augen als Röhren vorstehen. Dieses Formelement, das er als Schalloch-Tubus in seinen Guitarren-Bilder integrierte, wurde geradezu eine Leitform der Kubisten.
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Les Demoiselles d‘Avignon, Paris, Juni bis Juli 1907, New York, The Museum of Modern Art
Nicht weniger als ein Dreiverteljahr lang erarbeitete sich Picasso dieses Bild. Wie intensiv er das tat, belegt allein die Menge der Vorstudien. Es sind nicht weniger als 809! Die Kunstgeschichte kennt keinen vergleichbaren Fall, in dem ein enzelnes Werk mit solcher Mühe vorbereitet wurde. Diskutiert worden ist immer die Frage nach der Genese dieser radikal neuen Gestaltung, mit der Picasso bei den Demoiselles aufwartet. Picasso hat immer abgestritten, von der sogenannten Negerplastik beeinflußt worden zu sein. Denn diese Annahme stützt sich auf die tatsache, daß Picasso nachweislich im Sommer 1907 das Pariser Trocadéro-Museum besuchte und dabei einen ganzen Saal voller afrigkanischer Skulpturen sa, die ich tief, ja schockartig beeindruckten, weil sie eine ähnliche Gestaltungsweise zeigten, wie die am meisten „deformierten“ Figuren in seinem Gemälde. Dennoch konnten die Plastiken kein Vorbild sein, weil – Picasso seine Form bereits entwickelt hatte. Schon im Marz 1907 hatte er eine entsprechende Kopfstudie geschafften. Der Schock im Trocadéro-Museum kam also nicht daher, weil er etwas Neues sah, sondern weil er erkennen mußte, daß es seine Erfindung schon gab.
„Der Ursprung der Moderne“ in Kulturtussi.de:

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