Der rote Faden in Kolumba

Man muss es einfach mal sagen: definitiv eines der schönsten Museen Kölns ist das Kolumba. Allein schon der Zumthor-Bau fasziniert. Und die eigenwillig spannende Präsentation fordert den Besucher heraus. Es gibt nämlich keine Beschriftungen und es wird zeitgenössische mit klassischer Kunst in einen Dialog gebracht, der zu eigenen Gedanken herausfordert. Der regelmäßige Turnus neuer Präsentationen zeigt eigentlich schon immer einen roten Faden. Die neue Ausstellung setzt diesen aber direkt als Ausstellungsmotto ein und begibt sich auf die Spuren des Erzählens im Sinne von Strukturen der Narration. Dieser Idee bin ich gestern einmal nachgegangen. Welche Räume mich besonders angesprochen haben, lest ihr hier.

Mit oder ohne?

Am Eingang wird einem das rote Begleitheftchen ausgehändigt. Die meisten Besucher haben sich dann auch hochkonzentriert darein vertieft. Ich hatte mir jedoch vorgenommen, erst im Nachhinein einen Blick darauf zu werfen. Denn ich wollte testen, ob die Kunstwerke mir auch ohne Erläuterungen den notwendigen Impuls für eigene Gedanken und Assoziationen liefern würden. Das war nicht immer der Fall. Aber dort, wo es für mich gut funktionierte, war das Kunsterlebnis besonders intensiv.

Als erstes fiel mein Blick im Eingangsbereich jedoch in den Innenhof. Dort stand ein Kaffeemobil! Ein schönes Genuss-Zugeständnis. Ein Café ist doch immer eine Bereicherung für den Museumsbesuch, den nicht wenige ja in ihre kostbare Freizeit verlegen. Geistige Nahrung ist schön, macht aber vielleicht auch Kaffeedurst 🙂

Der rote Faden ist übrigens blau 🙂 Im Eingangsbereich stimmt einen eine sehr berührende Arbeit von Felix Droese auf die Erzählweise ein. Der Künstler hat dort eine Installation geschaffen, die in ihrer Mehrteiligkeit wie ein Teil einer Theaterinszenierung wirkt. In einer Art Glassarg auf einem bootsähnlichen Holzbrett „schwimmen“ zwei tote Vögel ins Nirwana. Dahinter steht ein Glaskolben, der wie aus einem alchimistischen Labor erscheint. Man muss sich das Ensemble genauer ansehen und je mehr man das tut, umso tiefer gerät man in die Geschichte hinein. Beispielsweise erweitert sich die erzählerische Struktur um eine neue Dimension, sobald man erkennt, dass die toten Vögel teerverschmiert sind. „Keine Kunst aber Tatsachen“ nennt Droese diese Arbeit aus dem Jahr 1987/1992.

Ich bin eingestimmt auf die weitere Betrachtung. Habe eine Ahnung, dass es vielleicht auch um den Tod gehen mag, um Leiden, um Zerstörung? Ich steige die schmale Treppe in den nächsten Stock hinauf und fühle mich bei dem nächsten Raum in meiner Ahnung bestätigt. Dort sehe ich ein Bild von Keith Haring, eine Bodenplatte mit kämpfenden Kriegern (irgendwie antik anmutend) und ein mittelalterliches Gemälde, das die Arma Christi zeigt (das kenne ich natürlich aus dem Studium …). Gut, denke ich. Das funktioniert. Ich will aber weitergehen, es hält meinen Blick hier nichts gefangen.

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Marcel Odenbach: In stillen Teichen lauern Krokodile. 2001-2004, Videoinstallation

Genau hinsehen

Marcel Odenbach mag ich. In den neunziger Jahren habe ich einmal ein Künstlergespräch mit ihm im Museum Ludwig veranstaltet und letztes Jahr war ich total begeistert von seiner Ausstellung im Bonner Kunstmuseum. Das Kolumba zeigt eine Videoarbeit, die sich mit dem Völkermord in Ruanda auseinandersetzt. Fasziniert betrachte ich die teilweise elegische Erzählweise der zwei parallelen Projektionen. Im Gewand der Dokumentation verbirgt sich eine solche emotionale Sprengkraft, die einen sprachlos macht. Wie genau Odenbach die einzelnen Elemente und Bilder ausgewählt hat, um einem die Schrecken des Völkermordes unter die Haut zu bringen, beweisen seine Notizen, die einen Raum weiter präsentiert werden. Aber auch eine begleitende Vitrine mit Objekten wie dem Kinderbuch „Zehn kleine Negerlein“ erweitern den historischen Kontext.

Im Zentrum der Ausstellung „Der rote Faden“ steht ein spätmittelalterlicher Bilderzyklus, der die Legende des heiligen Severin erzählt. Die Bilder haben während der umfassenden Restaurierungsarbeiten der Severinskirche hier eine temporäre Heimat gefunden und ziehen sich durch die gesamte Ausstellungsfläche vom Kolumba. Schon immer kam mir bei dieser Erzählweise des Mittelalters die Assoziation zum Comic. Es ist eine lineare Geschichte, die vom einen zum nächsten Bild chronologisch erzählt wird. Mit vielen wichtigen Details, damit sich der Betrachter wie eine Art Augenzeuge des Heilsgeschehens fühlen kann. „Genau so wars“ scheint es aus jedem Bild zu rufen. Man hatte einen Großen der Kölner Malerschule verpflichtet, diesen Zyklus zu malen. Er war bereits durch die Darstellung der Geschichte der heiligen Ursula aufgefallen. Seine Spezialität: Verlegung der Geschehnisse der Heiligenlegende in das Köln um 1500 – klar, dass dies noch mehr Authentizität in die Geschichte brachte. Geschickt!

Mir ist die brilliante Farbigkeit der Bilder aufgefallen. Sie wurden jüngst restauriert, lese ich später im Begleitheft. Das wirkt! Einzelne Gegenstände auf den Bildern scheinen wie ausgeleuchtet. Was mir allerdings ein bisschen gefehlt hat, ist der Dialog mit den anderen ausgestellten Werken. Da hat sich mir zumindest nichts vermittelt. Habe ich etwas übersehen? Oder war die Korrespondenz nur mit speziellen Kenntnissen zu entdecken? In einem Raum wird die „Abreise des hl. Severin nach Bordeaux“ erzählt. Dann folgt der Empfang durch den Bischof Amandus. Eine Plastik des heiligen Martin und ein Kästchen mit Szenen der Susanna im Bade stehen im Raum. Hier kam ich mit dem roten Faden nicht klar. Ich schaue weiter.

 

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Dialog im Raum

Das habe ich gesucht! Unterschiedliche Kunstwerke schärfen durch Gegenüberstellung das Sehen. Dadurch können sich die Geschichten entfalten. Für mich perfekt gelingt das im Raum, der die goldene Wand von Jannis Kounnellis mit den Radierungen zum Krieg von Otto Dix kombiniert. Da sind die Schrecken des Krieges, die Dix mit schonungsloser Grausamkeit in seinen Radierungen präsentiert. Und dann ist da diese melancholische Installation. Vor einer goldenen Wand Hut und Mantel auf dem Garderobenständer. In meinem Kopf vermischt sich das mit den Kriegsbildern und die Kounellis-Arbeit bringt mir plötzlich Bilder einer verlorenen Heimat. Das Sterben in den Schützengräben des 1. Weltkriegs (wie die Technik der Radierung hier ihre Wirkung entfaltet) wird in diesem Moment so individuell. Der einzelne Soldat erscheint in meinen Gedanken, der vielleicht an sein Zuhause denkt, während er stirbt. Die Wirkung verstärkt sich noch durch den „Crucifixus Dolorosus“, der aus tausend Wunden zu bluten scheint.

Direkt im nächsten Raum erzählt mir das Duo Klapheck / Troger eine andere Geschicht. Eine von Leidenschaft und Dynamik. Ich hätte nicht gedacht, dass die Darstellung eines Motorrads (Konrad Klapheck: Der Dämon des Fortrschritts, 1980) und ein spätbarocker Heiliger Michael (Simon Troger: Hl. Michael, vor 1725) soviele Gemeinsamkeiten entfalten könnten. Der Erzengel bekämpft den Teufel. Mit seinen weit ausgebreiteten Flügeln und wehendem Mantel wirkt er entschlossen und kraftvoll. Die Rundungen des „supergegenständlichen“ Motorrads bei Klapheck wirken wir eine Antwort auf diese Bewegung und lassen es lebendig wirken.

 

klapheck

 

Wohl einer der berührendsten Räumde dieser neuen Präsentation ist der mit einer Arbeit von Rebekka Horn: Berlin Earthbound (erdgebunden) aus dem Jahre 1994. Diese trifft nun auf das Werk von Kurt Benning (Der Krieg in Mitteleuropa. Mitte des XX. Jahrhunderts), in der der Künstler ein Negativ mit dem letzten Foto seines Vaters in Uniform vergrößert in einem Leuchtkasten zeigt. Da funktioniert es erneut, dieses Erzählen. Nur wenige Informationen aus den Arbeiten (Judenstern im abgewetzten Koffer; Uniform mit nationalsozialistischem Abzeichen) braucht es, um sich einzufinden. Jedes der beiden Kunstwerke hat seinen eigenen Erzählradius, gemeinsam potenzieren sie ihre Aussage. Man fängt an, sich Gedanken über den Judenstern im Koffer zu machen. Hat er sich durch die Bewegung des „fliegenden“ Koffers gelöst oder war es Absicht der Künstlerin? Jedenfalls vermittelt sich die Geschichte in diesem haptisch erfahrbaren Objekt. Der Mann, den Kurt Benning am Schreibtisch zeigt, ist irgendwie entindividualisiert. Wie er da so als Negativ-Form präsentiert wird. Steht er für alle Schreibtischtäter? Später lese ich, dass es der Vater des Künstlers ist. Da nimmt das Geschehen noch einmal eine andere Wendung. Es ist interessant, was mit der Wahrnehmung passiert, wenn man entsprechende Informationen zufüttert.

Lieblingsstory

Und dann entdecke ich mein persönliches Highlight in der Ausstellung. Es ist Teil einer thematischen Insel innerhalb der Präsentation und gehört zu dem Konvolut an Arbeiten von Anna und Bernhard Blume. Es sind die Zeichnungen, die Anna unter dem Teiel „Die reine Empfindung“ 1990/92 angefertigt hat. Ein Zyklus aus insgesamt 80 Papierarbeiten aus dem Besitz des Museum am Ostwall. Mit herrlich ironisch-distanziertem Blick hat die Künstlerin hier die Ikonen (!) der modernen Abstraktion zitiert. Und daneben den Konstruktivismus und andere berühmte Abstraktionen zu Mustern auf Textilien werden lassen, die durch die Körper der Tragenden in einen so völlig absurden Kontext geraten. Punkte, schwarze Quadrate und kosmische Raumfiguren wirken hier plötzlich banal. Die heroisch klingenden Zitate von berühmten Größen der Kunstgeschichte – was sagen die eigentlich aus? Die Schau „Transzendentaler Konstruktivismus“ ist eine wirkliche Bereicherung und noch einmal ein eigener Erzählraum in der Neu-Präsentation. Ich mag dieses Subversive in den Arbeiten von Anna und Bernhard Blume und hab mich sehr in die Bleistiftzeichnungen von Anna verliebt.

 

Ich weiß nicht, ob ich an allen Stellen die Intention der Ausstellungsmacher herausgelesen habe. Für mich war das auch nicht notwendig. Mein ganz persönlicher Zugang zu der Bilderwelt hat hervorragend funktioniert. Da diese Präsentation noch eine ganze Weile zu sehen ist (bis zum 22. August 2016), ist es gut möglich, dass ich mir das noch einmal anschauen werde. Euch kann ich den Besuch auf jeden Fall empfehlen (es gibt noch sehr viel zu entdecken, ich habe nur meine subjektive Auswahl beschrieben).

 

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