Darf Kunst alles?


La „Ferres“ will die eigens von einem bedeutenden Autor auf ihren Superweibleib zugeschnittene Rolle der Mutter Courage bei den diesjährigen Filmfestspielen nicht mehr spielen.
Da ich kein besonders großer Fan der Schauspielerin bin, rollte ich zunächst die Augen gen Himmel und dachte: mein Gott, wie snobish ist die denn drauf. Ruhrtriennale, Jürgen Flimm und auch Büchnerpreisträger Wilhelm Genazino – alles doch bestimmt nicht zu verachten, im Bemühen, sich als Charakterschauspielerin zu etablieren (ich glaubte zu erkennen, dass sie ein bisschen weg wollte vom Superweib-Image). Zickt die jetzt nur rum und benimmt sich wie eine Möchtegerndiva!!
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Wie so oft, lohnt es sich jedoch, einen genaueren Blick zu tun.


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Die seit 2002 jährlich unter wechselnder künstlerischer Leitung stattfindende Ruhrtriennale ist ein beispielhaftes Projekt zur Entwicklung einer künstlerischen „Landschaft“ und steht für Experimentierfreudigkeit, Bodenständikeit, Arbeiter- und Industriekultur. Alles Aspekte, die Glaubwürdigkeit und Respekt mit sich bringen und sicher ist es eine absolute Ehre für eine Schauspielerin, wenn sie als Star eines solchen Kulturfestivals gehandelt wird. Zumal wenn sie derart hofiert wird, dass sich ein veritabler Schriftsteller aufmacht und die Rolle nur für sie schreibt.
Jürgen Flimm, der für sich auch in Anspruch nimmt, die Ferres fürs Theater wieder- oder überhaupt entdeckt zu haben (sie war aber auch eine pralle Buhlschaft!!!) ist ratlos über ihren Rückzug. Das Stück – eine Übertragung des auch schon Brecht beeinflussenden Grimmelshausen (Barock ist das Stichwort der diesjährigen Ruhrtriennale) – verlangt die respektlose Darstellung einer Soldatenhure. Jeder, der sich ein wenig auskennt, dürfte darüber kaum erstaunt sein und sicher ist die Herausforderung, so ein „dreckiges“ Weibsstück zu spielen für eine Schauspielerin ein Sahnehäppchen!
Veronica Ferres hat sich nicht offiziell zu Wort gemeldet, auf ihrer Homepage liest man so gar nichts darüber (im Gegenteil, da steht das Stück immer noch drin…).
Jetzt sickerte aber doch ein Beweggrund für ihren Rückzug durch: sie sollte in einer Szene einem Soldaten behilflich sein, ein kleines Mädchen zu vergewaltigen!
Die Ferres hat etwas von „nicht vereinbar mit ihrem Image“ gesagt und sofort hagelte es natürlich Boshaftigkeiten à la „na ja, damit sie in Zukunft weiterhin Antifaltencremes und Mobiltelefone verscherbeln kann“.
Aber ist es tatsächlich so einfach? Sicher liefert man eine so skandalträchtige Absage nicht mal eben so zwischen zwei Talkshow-Auftritten. Das ist schon auch ein stückweit imageschädigend, wenn man so kurzfristig etwas absagt.
Sex auf der Bühne sells und natürlich war man gerade im Barock (und diese Zeit spielt in der Inszenierung eine große Rolle) nicht zimperlich. La Ferres hat sich das ein oder andere Mal auch schon an saftig-deftige Darstellungen erprobt und das kann nicht so ganz ihr Problem gewesen sein.
Doch hier – so weit man das sagen kann aus den rudimentären Angaben über die besagte Szene – geht es hier um Vergewaltigung – dazu noch eines Kindes. Und das zu spielen, darzustellen, diesen Vorgängen ein Gesicht zu geben, das halte auch ich für äußerst problematisch und schwierig.
Provokation und Ungeheuerliches gehören sicherlich ganz wesentlich zur Kunst dazu und ich bin auch ganz massiv gegen eine Zensur von oben – egal um was es sich handelt. Kunst muss frei sein. Auch frei, ganz schrecklich brutale Bilder zu zeigen.
Aber ich habe Verständnis dafür, wenn man sich nicht in der Lage sieht, diese Schrecklichkeiten durchzumachen. Auch wenn es nur auf der Bühne ist. Eine gute Schauspielerin erlebt ein Stück weit die Bühne auch als Wirklichkeit, sie taucht darin ein und ist immer dann besonders gut, wenn sie mit dieser verschmilzt.
Veronica Ferres hat für mich an Persönlichkeit hinzu gewonnen, weil sie ihre Absage ganz klar auf diese diskriminierende Stelle bezieht. Sie übernimmt damit eine Position, die sich gegen sexuelle Gewalt an Kindern richtet. Das deckt sich auch mit ihrem sonstigen sozialen Engagement und sie beweist aus meiner Sicht damit eine Integrität, die ich ihr – sorry – bislang nicht unbedingt zugetraut hätte.
Was mir allerdings nicht so ganz einleuchtet: hätte man nicht über diese entscheidende Szene sprechen können? Vielleicht wäre ein anderer Weg auch dramaturgisch vertretbar gewesen.
Mal sehen, was an Details aus dieser Sache noch bekannt werden wird. Möglicherweise muss man sein Bild dann wieder einmal korrigieren.

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Eine Antwort zu “Darf Kunst alles?”

  1. Es ist, wie Kurt Tucholsky schon in seinem Pamphlet „Kunst und Zensur“ sagte, sie darf wenn überhaupt, nur durch das Rezeptionsverhalten des Publikums stattfinden, also dadurch, dass es sich ein Theaterstück, das ihm nicht zusagt, schlicht und ergreifend nicht antut. In diesem Falle war Ferres nicht das Publikum, wohl aber weigerte sie sich, eine Szene darzustellen, die nicht mit ihrem Gewissen vereinbar war. Das ist nur verständlich und natürlich ihr volles Recht. Ich finde es gut, dass sie kein großes Trara darum gemacht hat, denn sonst hätte sie ja die +ber ihre Rolle hinausgehende freie Entfaltung des Stückes gefährtet und einer Zensur den Weg geebnet.
    Eine Zensur findet nicht statt, heißt es im Artikel 5 GG zur Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft. Das sollte so bleiben.

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