Dagmar Schmidt – Malerei


„Wir leben in einem Zaubergarten und bemerken es nicht. Farben, die vertrauten und manchmal sogar etwas aufdringlichen Gefährten unseres „grauen“ Alltags, erscheinen uns als etwas so Selbstverständliches, dass wir kaum noch imstande sind, sie in ihrer Fülle und Lebendigkeit wahrzunehmen. Wir verfehlen dadurch die Begegnung mit einer der rätselhaftesten Erscheinungen unserer Welt, die ihr Geheimnis bis heute weigehend bewahrt hat.“
Die Autorin Margarete Bruns hat 1998 ein bemerkenswertes Buch mit dem Titel „Das Rätsel Farbe. Materie und Mythos“ veröffentlicht, in welchem sie nicht nur die physikalischen sondern vor allem auch die psychologischen Aspekte des Rätsels Farbe untersucht hat. Und fast scheint es, als wenn die Bilder von Dagmar Schmidt eine Ahnung von den komplexen Hintergründen und Entstehungsgeschichten der geheimnisvollen Welt der Farben geben und den Betrachter darüber in die besondere Erlebniswelt der Bilder entführen möchten.
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Die Künstlerin aus Porz, die sich freilich schon länger in diesem Zaubergarten bewegt, hat 1981 mit dem Titel „Meisterschülerin“ ihr Kunststudium an der Düsseldorfer Akademie abgeschlossen. Seitdem hat sie kontinuierlich an ihrem bildnerischen Kosmos weitergearbeitet und ist in immer neue Sphären der Malerei vorgestoßen. Farbe ist das zentrale Thema in ihrer Malerei. Doch nicht als Selbstzweck und schon gar nicht gänzlich ohne Form. Um die besondere Qualität der Bilder von Dagmar Schmidt genauer zu beschreiben, ist es nicht unerheblich, sich einmal ihren Schaffensprozess zu vergegenwärtigen. Wo kommen eigentlich all ihre Bilderfindungen her und wie gelingt es der Künstlerin, in immer wieder neuen Varianten eines einmal gefundenen Farbkanons die Spannung beim Betrachten der Malerei aufrecht zu erhalten?
Mittlerweile zu einer festen Größe der rheinischen Kunstszene geworden, ist Dagmar Schmidt eine Malerei zu eigen, die immer wieder durch Erlebnisse fern der Heimat mit neuen Impulsen versorgt wurde. Durch glückliche Fügungen haben sich in den vergangenen Jahren für die Künstlerin wunderbare Möglichkeiten zu Reisen in ferne Länder ergeben, auf denen sie – ganz wie die großen Erneuerer der Moderne – ihre Seh-Erfahrungen machen konnte. Und für einen Augenmenschen wie es Künstler ja gemeinhin sind, ist es nicht verwunderlich, dass sie von überall dort, wo sie längere Zeit verbracht hat, einen riesigen Schatz an Eindrücken mit nach Hause bringt. Die Orte ihrer Reisen hat sie dann gleichsam über den malerischen Prozess in ihren Bildern zu besonderen Mustern und Farbimpulsen transformiert. So taucht in vielen Motiven die arabische Ornamentik und Farbenwelt Ägyptens auf, wo sie in Kairo museumspädagogische Fortbildungen leitete. Oder es gehen Erinnerungen an Flora und Fauna der paradiesischen Seychellen in ihr Formenrepertoire über. Im dortigen National Museum hatte sie seinerzeit eine Einzelausstellung, die durch die Vermittlung des Künstlerkollegen Nigel Henry zustande kam, den sie bei der Aktion Buddy Bears kennenlernte. Eine Aktion, zu der internationale Künstler nach Berlin geladen wurden, um dort das Wahrzeichen der Stadt, den Berliner Bären zu bemalen. Überhaupt scheint die internationale Vernetzung von Künstlern äußerst gewinnbringend für die Kunst von Dagmar Schmidt zu sein, wie auch die wunderbaren Papierarbeiten zeigen, die während des künstlerischen Austausches in Liverpool entstanden sind.
Betrachtet man die Genese ihres Formen- und Farbenrepertoires, so scheint es fast, als wenn erst der Blick auf das Fremde bei ihr eine gewisse Fabulierlust anstößt. Die stark in ihrer Heimat verwurzelte Künstlerin holt sich über das Reisen quasi die Welt in ihr Atelier und geht dann auf ihre ganz eigene Entdeckungsreise. Von den ersten frühen Ausgangsimpulsen arbeitet sie sich Schritt für Schritt zu den dichten Farbkompositionen ihrer fertigen Gemälde vor.
„Die Farbe hat mich. Ich brauche nicht nach ihr zu haschen. Sie hat mich für immer. Das ist der glücklichen Stunde Sinn: ich und die Farbe sind eins. Ich bin Maler.“
Dieses Zitat von Paul Klee gibt uns einen Einblick in die Chancen, die sich dem Künstler in der Malerei zu bieten scheinen. Bei Dagmar Schmidt wird Farbe gleichsam zu einem Farbraum. Indem sie sich diesen erarbeitet, verwandelt sie Erlebnisse, Eindrücke und Assoziationen zu atmosphärisch gestimmten Farbklängen. Die Darstellung wird in diesem Prozess so ganz von der Bürde des Gegenstandes befreit. Indem sie eine feine Schicht von Farben aufträgt, entsteht ein architektonisches Gefüge, in welchem hier und da gegenständliche Attribute aufblitzen. Ein oft wiederholtes Emblem oder ein zum Typischen verdichtetes Zeichen geben den Anstoß für eine Kette von Gedankenverknüpfungen. Diese werden Ton für Ton wie auf einer imaginären Partitur gemeinsam mit den Farben zu einem besonderen Rhythmus vereint.
Der Grad der Abstraktion in Schmidts Bildern ist durchaus unterschiedlich. Manche Arbeiten scheinen gegenstandslos, in anderen ist die sichtbare Welt der Dinge auch schon einmal deutlicher nachvollziehbar. Für die Künstlerin scheint es das Ziel ihrer Arbeit zu sein, die Grenzen der Wirklichkeit zu überschreiten um so die innere Wahrheit der Dinge erkennbar zu machen. In ihrer gestalterischen Umsetzung geht Dagmar Schmidt einen Weg, der sich von einem eher grafisch aufgebauten Gerüst einer Skizze bis hin zu den freien Klängen der Farbfelder entwickelt.
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Eine Skizze ist der Versuch der Darstellung einer Idee, auch ein Entwurf, ein Konzept, ein erster Überblick. Die Künstlerin nutzt diese als Vorstufe zu ihren Gemälden, indem sie bestimmte Motive auf ihre Wirkung hin testet. Auf ihren vielen Reisen entstehen Fotografien, die sie sorgsam in kleinen Kisten aufbewahrt. Das ist sozusagen ihr Erinnerungsschatz. Schon vor Ort hat sie im Hinblick auf mögliche spätere Bilder bestimmte Ausschnitte der Wirklichkeit eingefangen. Oft sind es Farbkompositionen, die ihr buchstäblich auf der Straße begegnen. Oder sie wählt einen bestimmten Bildausschnitt so, dass ornamentale Strukturen gefunden werden. Von ihrer letzten großen Reise nach New York brachte sie auf diese Weise zahlreiche Anhaltspunkte mit, die später in ihren Bildern auftauchen sollen: runde Lampions aus den übervollen Läden in China Town oder die Architektur des New Yorker Wahrzeichens Brooklyn Bridge, eine Figurine in einer der urbanen Boutiquen oder besonders geformte Türeingänge in Chelsea.
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Die so gewonnenen Motive erfahren losgelöst von der naturalistischen Beschreibung eine Neubewertung in den Bildern von Dagmar Schmidt. Stück für Stück beginnt die Künstlerin ihre Bilder aus einem an Mosaike erinnernden Rastersystem aufzubauen und gibt der Konstruktion in der Setzung bewusster Wiederholungen zusammenklingende Impulse, die das ganze Bildgefüge zu einer vibrierenden Lebendigkeit verdichten.
Nach der Ideenskizze beginnt Dagmar Schmidt ihre Leinwand mit den farbigen Bereichen zu füllen. Doch bei aller Planung des Bildaufbaus – irgendwann übernimmt dann die Farbe die Führung. Ursprünglich geplante Akkorde können sich unter dem Einfluss der gewählten Farbwerte verändern. Dann nämlich, wenn sich die Künstlerin ganz der Farbe überlässt und sich dem malerischen Prozess unterwirft. So wird in letzter Konsequenz das Bild zwar mit dem Verstand geplant aber mit dem Gefühl fertig gestellt.
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Die malerische Qualität ihrer Werke erreicht die Künstlerin durch einen besonderen Farbauftrag, der mittlerweile zu ihrem Markenzeichen geworden ist. Ursprünglich nur mit der satten Gouache-Farbe bewirkt, hat Schmidt es nach eine längeren Experimentierphasen erreicht, dass auch mit der Acryl-Technik dieser schwebende Zustand der Pigmente auf der Leinwand entsteht. Dazu bedient sie sich der Technik des federleichten gewischten Farbauftrages, der die Farbpigmente gleichsam von innen heraus zum Leuchten bringt. Die Leinwand wird so nicht als beliebiger Bildträger verstanden, der mit der Farbe zu einem dinghaften Gegenstand verschmilzt. Vielmehr entsteht auf diese Weise der Rahmen für einen sinnlich erfahrbaren Farbkörper.
Hellblau, Türkis, Grünblau, Violettblau, Lindgrün, Zitronengelb, Sonnengelb, Pink, Rot, Rosé, Orange – Dagmar Schmidt hat ihren Farbenkanon gewissermaßen aus den drei Grundfarben Rot, Blau und Gelb erschaffen. Auffallend ist, dass sie diesen in ihren Gemälden nie in einen disharmonischen Kontrast bringt. Die Darstellung von Dissonanzen und schrägen Tönen ist ihre Welt nicht. Vielmehr verwebt sie ihre Bilder in einen assoziativen Teppich voll heller Harmonie und lichtem Gleichklang.
Matisse träumte einst „von einer Kunst des Gleichgewichts, der Reinheit, der Ruhe, ohne beunruhigende Gegenstände, von einer Kunst, die (…) ein Beruhigungsmittel ist, eine Erholung für das Gehirn (…).“
Wenn man der Überzeugung folgt, dass dem Verstehen nur das geistvolle Schauen vorausgeht, so ist die Betrachtung der Kunst von Dagmar Schmidt mehr als die reine Sehlust. Die Künstlerin bringt vielmehr mit ihrer Sensibilität für die Stofflichkeit und die spezifischen Qualitäten der Farben eine Saite in der Seele jeden Betrachters zum Klingen.
Im Idealfall führt dies zu Versenkung und Kontemplation vor den Bildern. Aristoteles bestimmte Kontemplation in seiner Ethik als das Tätig-Sein des Geistes, ein Akt des Schauens, der nach keinem außerhalb gelegenen Ziele strebe; und wenn auf diese Weise das Sich-Selbst-Genügende, das In-Sich-Ruhende in Erscheinung trete, so folgt er daraus, dass dieses das Glück des Menschen in Vollendung darstelle.
In den Farbwelten der Bilder von Dagmar Schmidt bietet sich ebendiese Chance zum Glück. Ganz so wie beim Durchwandern eines wunderschönen Zaubergarten.

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