Begegnung mit Otto Freundlich

Otto Freundlich Ausstellung im Museum Ludwig

In meinem Gedächtnis hatte sich die monumentale Skulptur „Ascencion (Aufstieg)“ verankert, die ich schon lange kenne. Die Begegnungen mit ihr sind stets geprägt von der Frage, wie Otto Freundlich es hinbekommen hatte, die Masse und Schwere der lastenden Formen in diese tänzerische Leichtigkeit zu überführen. Seit Kurzem aber sind diese Eindrücke überstrahlt. Im wahrsten Sinne des Wortes. Von dem wiederentdeckten Mosaik „Die Geburt des Menschen“. Im Museum Ludwig sind beide Werke und zahlreiche andere Arbeiten dieses bemerkenswerten Avantgarde-Künstlers in der Ausstellung „Kosmischer Kommunismus“ zu sehen. Ich picke mir aus 80 Exponaten zwei für ein Zusammentreffen heraus.

Kosmischer Kommunismus.

Diese Wortkombination muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen. Und wenn sie dann ins Bewusstsein gedrungen ist, dann macht sie Sinn. Vor allem, wenn man sich ein wenig eingelesen hat in die philosophischen Gedanken Otto Freundlichs. Er war einer der ersten Abstrakten. Und beschritt diesen Weg ganz konsequent als Idee. Über die Auflösung der Kontur, die Überwindung des euklidischen Raumes und die Dynamik farbiger Flächen baute er sein Formprinzip, das sich auf das Weltganze ausrichten sollte. Der Künstler schafft seiner Vorstellung nach ein Vorbild, nach welchem sich auch die Gesellschaft gestalten lasse. Völlig klar, dass Otto Freundlich während seiner Aufenthalte in Köln mit den Progressiven Freundschaft schloss. Mit ihnen teilte er die Idee einer neuen Welteinheit, in welcher sich auch die Besitzverhältnisse und Klassen aufzulösen sollten.

In Köln entstand 1919 auch das Mosaik „Die Geburt des Menschen“. Der Tabakhändler Josef Feinhals hatte es für seine Villa auf der Marienburg bestellt, es aber dann nicht mehr dort einbauen lassen. Vor dem drohenden Untergang rettete es F.W. Seiwert. Über den Nachlass Feinhals gelangte es dann an die Kölner Oper, wo es 1954 in Riphahns Neubau am Übergang zum Parkhaus platziert wurde. Allerdings geriet es an dieser Stelle ein wenig in Vergessenheit, vor allem nachdem der Übergang auch nicht mehr existierte. Eine Wiederentdeckung also, die fast schon als Signal über der gesamten Ausstellung leuchtet! Denn das Erinnern an die Kunst Otto Freundlichs ist geprägt von tragischen Ereignissen. (Dazu später mehr). Zudem gilt sein gesamtes Frühwerk als verschollen, nachdem er es bei seiner Flucht vor den Nazis in seinem Berliner Atelier eingelagert hatte.

Mit dem farbenprächtigen Mosaik scheint auch dieser Künstler in das rechte Licht gerückt zu werden. Hier erlebt man unmittelbar die Aufbruchstimmung zu Beginn des 20. Jahrhunderts, bei der Kunst eine besondere Rolle spielte. Damals hatte man die Vision, dass sie die Gesellschaft mitprägen kann.

„Wir glaubten lange an die Verwandlung der sichtbaren Welt durch den Menschen, an den neuen Menschen, an den neuen Sinn der Erscheinungswelt auf Grund einer tiefen Umkehr im Individuum selbst. Aber wir lernten erst langsam erkennen, wie weit die schöpferischen Kräfte dem Menschen entrückt waren, wie das Heimatsbewusstsein im All in ihm erloschen, wie die Wege dorthin bald zum Ausgangspunkt zurückkehrten. Wer waren alle selbst belastet von den Fehlern, den Vorurteilen, dem Egoismus, der Selbstanbetung unserer Zeitgenossen.“ (Otto Freundlich in „Ideen und Bilder“ in seinen Schriften, die 1982 von Uli Bohnen herausgegeben wurden.)

Otto Freundlich: Die Geburt des Menschen, 1919 Mosaik, Bühnen der Stadt Köln 215×305 cm (Aufnahme vor dem Transport ins Museum Ludwig)

 

Aufstieg

Abstrakte Skulpturen brechen sich erst ganz langsam ihre Bahn in die Moderne. Mir kommt es manchmal vor, als sei es sehr schwierig gewesen, sich vom klassischen Vorbild zu lösen. Mit der Arbeit „Ascension“ schuf Otto Freundlich die spannende Abstraktion einer Idee. Auch wenn man sich dabei ertappt, in „Ascension“ auch einen Kopf  zu sehen. Doch die Abstraktion, eine gezielte Loslösung vom Motiv enthielt nach Auffassung Freundlich die Chance zur Allgemeingültigkeit. Er entwickelte hierzu eine naturwissenschaftliche Vorstellung treibender Kräfte und Energien, die nach seiner Vorstellung der Kunst innewohnten. Die Art, wie er hier die Massen über einer schmalen Basis auftürmt und in einem nahezu schwerelosen Gleichgewicht hält, überträgt sich sofort auf den Betrachter. Die Skulptur schuf Freundlich, als er sich in Paris aufhielt. Ein Ort, an welchen es ihn seit 1908 immer wieder zieht und wo er Kontakte zu den Avantgarde-Künstlern schloss.

Museum Ludwig, ML, Otto Freundich, Ascension, 1929/1961, ML/SK 5008, Köln

Vielleicht kommen einem beim Anblick auch Bilder von Otto Freundlichs Skulptur „Großer Kopf“ in den Sinn. Eine Skulptur,  die 1912 entstand und zu trauriger Berühmtheit gelangte. Sie wurde von den Nazis auf dem Titelblatt des Katalogs zur unsäglichen Propaganda-Schau „Entartete Kunst“ gezeigt. Perfide, wie ihr hier der Titel „Der neue Mensch“ zugewiesen wurde. Später ersetzte man sie sogar durch eine schlecht gemachte Kopie. Was mit dem Original geschah, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Der „Große Kopf“ und auch „Ascension“ zeigen deutliche Einflüsse außereuropäischer Kulturen und man spürt die Kraft archaischer Bilder. Etwas, das die Nationalsozialisten mit „entartet“ gleichsetzten. Es ist unendlich traurig, dass es Freundlich nicht mehr gelungen ist, 1940 eine Ausreisegenehmigung in die USA zu bekommen und er 1943 in das Vernichtungslager Sobibor deportiert wurde und dort umkam. Umso wichtiger ist es, seine Kunst zu würdigen.

„Die Geburt des Menschen“ und „Ascension“. Zwei Kunstwerke, ein Fenster in die Geschichte. Erinnerung an schlimme Zeiten, die auf einen Traum vom Aufbruch in eine neue und bessere Welt folgten. Es wird ein Schicksal deutlich, das wir betrauern müssen. Aber – und das ist der große Gewinn dieser Ausstellung – die Werke Otto Freundlichs entfalten eine Energie, die auch heute noch spürbar ist und mit der man sich beim Besuch aufladen kann. Bis zum 14. Mai kann man das in Köln noch tun. Danach dann ab dem 10. Juni im Kunstmuseum Basel.

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3 Antworten zu “Begegnung mit Otto Freundlich”

  1. Wie sympathisch! Ein Künstler mit grandioser Idee! Spannend, dass ich mich gerade seit heute intensiv mit der Frage des „Auftragsgedankens“ in der Kunst auseinandersetze, losgetreten durch die gestrige ‚Westart live – extra‘ zur Lit.COLOGNE. Ich glaube, ich werde Deinen Beitrag mit diesem meinem zukünftigen verlinken – als positives Gegenbeispiel zur Aussage Hemingways, zitiert von Denis Scheck: „Wer eine Botschaft hat, soll auf’s Telegraphenamt gehen und‘n Telegramm schicken.“
    Danke für’s Vorstellen!

  2. Der Hemingway … tja, was soll man dazu sagen. Mir ist es wichtig, dass Kunst eine Botschaft hat, die über das Künstler-Ego hinausweist. Man kann natürlich Kunst um der Kunst willen machen. Ist dann für mich aber eher uninteressant.
    Danke fürs Kommentieren. Und drüben fürs Aufgreifen!

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